Georg-Wörter-Gedächtnisweg

Wirtshörndl

Loferer Stoaberg

Perfekter Riss So, also nocheinmal. Der 10er Keil hat nicht in den Riss gepasst, weil er zu breit war. Ich hab es mit der gekrümmten Seite nach links genauso probiert wie nach rechts. Der 9er Keil geht zwar in den Riss hinein, rutscht am Rissgrund aber durch und fällt unten wieder heraus, also greife ich zurück zum 10er. Eine neuerliche Inspektion des Risses bestätigt, dass dies hier auf den nächsten zwei Metern die beste Stelle für eine Sicherung ist, und verflixt nocheinmal, so schwer kann das ja nicht sein, einen Klemmkeil in einen Riss zu stecken. Nach nervenaufreibenden Herumfummeleien habe ich ihn schließlich platziert: vorausgesetzt, die winzige Felsnase, an der der Keil an der rechten oberen Ecke aufliegt, hält im Fall des Falles, dann müßte eigentlich der Keil sich zwischen den schmalwandigen Kalkrändern, die am Rissrand herausstehen, verkeilen, natürlich nur wenn man versucht, beim Fallen eine leichte Linksrichtung beizubehalten, das wäre gegebenenfalls zu berücksichtigen. Ein leichter Zupfer am Keil hat zumindest keine Anzeichen geliefert, dass der Keil nicht halten würde! Passt, es kann endlich weitergehen, die Fußsohlen beginnen ohnehin schon zu kribbeln, weil sie so lange auf denselben Tritten stehen mussten. Nach drei, vier Kletterzügen wartet ein kleiner Absatz, auf dem man wieder durchschnaufen und einen Blick zurück auf den Riss werfen kann. Wo ist nun der Keil? Er hängt etliche Meter weiter unten am letzten Schlaghaken (einer von der Sorte, den man zwar einhängt, dem man aber nicht zutraut, dass er ein Gewicht halten kann, das die 3 Kilo Marke übersteigt...) Gut, vom Absatz aus kann man leicht einen Friend in den Riss klemmen, und der ist diesmal bombensicher...

Standplatz-Diskussion (diese kann stattfinden, weil der Standplatz mit einem geklebten Ring ausgestattet ist und somit gestattet, sich vor der kommenden Seillänge zu entspannen; selbstgebaute Standplätze oder solche, die auf vor 20 Jahren eingebrachtem Material beruhen, bestehend aus alten Sanduhrschlingen aus 4mm Reepschnur, von der man nicht einmal mehr die ursprüngliche Farbe feststellen kann, weil sie jetzt komplett schwarz ist, morsche Holzkeile, und Normalhaken, deren rostigen Schaft man auf 3/4 ihrer ganzen Länge bewundern kann, schnüren den Hals zu und trocknen die Kehle derartig aus, dass am Stand üblicherweise gar nichts mehr gesagt werden kann)

"I muaß sogn, i glab nid, dass der oa Friend in der Läng' g'hebt hätt."
"I woaß a nid, oba i glab scho'."
"I glab nid."
"I glab scho'."

Nach ein paar Augenblicken Stille und einem Blick auf die kommenden Meter folgt noch ein "Uh, des schaut schwaa aus", danach herrscht wieder Stille bis zum nächsten geklebten Standplatz.

Letzte Seillänge, die schwierige V+ Verschneidung liegt hinter mir, vor mir sind nur noch zehn Meter im vierten Schwierigkeitsgrad. Wie ein Schiffbrüchiger, der mit letzter Kraft den Strand erreicht, steuere ich den Standplatz an. Wir haben es geschafft, nach fünf Jahren, in denen niemand den Georg-Wörter-Gedächtnisweg geklettert ist, haben Hias und ich den großen Traum, der mir schon seit Jahren im Kopf herumgeht, realisiert. Ich versuche, am Stand dieser sentimentalen Südsee-Insel angekommen, einen Juchizer hinauszuschreien, aber es ist nur ein Krächzen, das sich meiner Brust entringt. Hoffentlich hat das der Hias, der immer noch 30 Meter weiter unten in der Nordwand hängt, nicht gehört!

Wer am Ausstieg einer der Wirtshörndl-Routen ankommt, der hat noch einen sehr weiten Weg zurück in's Tal vor sich. Angesichts unserer Odyssee beim Zustieg über die Metzgeralm sind wir uns wortlos einig, dass wir in's Loferer Hochtal absteigen werden und nicht Abseilen und über den schrofigen Vorbau und den zugewachsenen Jagasteig zurückgehen werden. Die Aussicht auf Essen und Trinken auf der vermeintlich nahen Schmidt-Zabierow-Hütte tut ihr übriges, dass wir den Abstieg in Form eines Aufstiegs über die Barmschoß bis unter die Blaue Wand hindurch antreten. Jedoch stellen wir bald fest, dass nach der "Ende Nie" am benachbarten Breithorn der zweitweiteste Weg zur Schmidt-Zabierow Hütte offenbar über das Wirtshörndl führt. Aber es lohnt sich, die flachen Sonnenstrahlen streifen die karge Landschaft und ein großes Rudel Gams vervollständigen die Idylle und das Hochgefühl, das wir in diesen Momenten erleben.

Überhaupt wäre es ein Riesenfehler, nicht bei Käthe und ihren Helfern auf der Stoaberg-Hütte vorbeizuschauen! Nach der herzlichen Begrüßung und warmen Aufnahme in die Hütte werden Hias und ich mit kühlem Bier und heisser Kaspressknödel-Suppe verwöhnt. Nur einmal müssen wir uns in diesen Stunden auf der Hütte anstrengen, nämlich bei der Entscheidung, welchen von Käthes vielen leckeren Kuchen wir zum Kaffee essen sollen. Eine gute kulinarische Unterlage ist auch nötig, denn die Ankunft zweier weiterer Helden in der Hütte, Christoph und Roli, die heute die "Ende Nie" geklettert sind und mit denen wir gemeinsam den Weg zurück in's Hochtal antreten werden, wird sich verzögern, und wir verkürzen uns die Zeit mit gelegentlichen Bestellungen weiterer Biere. Ein wenig nervös werden wir dann aber mit den fortschreitenden Stunden schon, Hias, weil er sich um seinen Bruder sorgt, und ich, weil ich den Abstieg in der hereindunkelnden Nacht ohne Stirnlampe antreten werden muss. Als Hias in der Früh seine kleine Kopflampe in die Jackentasche einsteckte, habe ich ihn deswegen noch ausgelacht. Dann endlich, als es bereits recht dunkel ist, wird Hias' Juchizer in Richtung Breithorn-Abstieg endlich von einem kräftigen "Holloradijö" aus Rolis Kehle beantwortet.

Ich bin ein Tänzer in der Nacht. Obwohl die Aufstellung gut durchdacht ist - Christoph und Hias gehen mit ihren Lampen jeweils am Anfang bzw. am Ende der Gruppe, sodass jeder von ihren Lichtern profitieren kann - bleiben die entscheidenden drei Meter vor mir auf dem Weg dunkel, denn ich stehe mir selbst im Weg. Roli, der als dritter geht, liefert mit seiner Stirnlampe immer wieder einmal kurz einen Beitrag, um die Nacht zu erhellen, aber die Batterien der Lampe sind erschöpft und spenden nach ein paar Minuten Erholung immer nur sekundenweise etwas Licht. In den Kurven aber, und wenn ich Pirouetten drehe, dann fällt ein Lichtschein auf die Meter vor mir und ich kann den Fuss sicher auf den Weg in's Tal setzen. Der ganze Körper ist Fußsohle, jeder Nerv und jeder Sinn konzentriert sich auf die Topologie des nächsten Meters, um auf dem steinigen Weg von der Hütte zum Parkplatz nicht umzuknöcheln. Es vergeht eine nicht enden wollende Zeitspanne in höchster Konzentration.
Nach endlosen eineinhalb - oder waren es zwei? - Stunden erreichen wir endlich das Hochtal, um ein Uhr nachts sind wir total verschwitzt und fertig. Die armen Autofahrer, die sich noch auf den Heimweg konzentrieren müssen, während ich mich bereits fallen lassen kann...
Am Ausgangspunkt des heutigen Klettertags, am Pass Strub, schließt sich dann der Kreis des (Kletter-)Lebens: im Scheinwerferlicht des Autos tauchen die Schlafsäcke der "Ende Nie"-Aspiranten des kommenden Tages auf. Vermutlich haben wir sie nicht einmal geweckt, wahrscheinlich haben sie schlaflos vor Anspannung vor sich hingedämmert, bis sie von vom gleissenden Licht derjenigen angestrahlt wurden, die es bereits geschafft haben. Ganz bestimmt sind die beiden aber keine Prinzen auf dem Weg zu einer der schönsten Prinzessinnen unter den Routen im Reich des Loferer Stoabergs, dem Georg-Wörter-Gedächtnisweg am Wirtshörndl; der wird wohl in seinen Dornröschen-Schlaf zurückfallen, bis ihn vielleicht in fünf Jahren wieder eine Seilschaft wachküsst.

Perfekte Piazerei
Perfekte Freude
Der weite Weg zur Hütte
Wenn die Sonne auf der
					    Schmidt-Zabierow-Hütte untergeht...
...und die Helden von der Ende Nie
					    zukehren

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