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So, also nocheinmal. Der 10er Keil hat nicht in den Riss gepasst, weil er zu
breit war. Ich hab es mit der gekrümmten Seite nach links genauso
probiert wie nach rechts. Der 9er Keil geht zwar in den Riss hinein, rutscht am Rissgrund aber durch und
fällt unten wieder heraus, also greife ich zurück zum 10er. Eine
neuerliche Inspektion des Risses bestätigt, dass dies hier auf den
nächsten zwei Metern die beste
Stelle für eine Sicherung ist, und verflixt nocheinmal, so schwer kann
das ja nicht sein, einen Klemmkeil in einen Riss zu stecken. Nach
nervenaufreibenden Herumfummeleien habe ich ihn schließlich platziert:
vorausgesetzt, die winzige Felsnase, an der der Keil an der rechten oberen
Ecke aufliegt, hält im Fall des Falles, dann müßte eigentlich
der Keil sich zwischen den schmalwandigen Kalkrändern, die am Rissrand herausstehen,
verkeilen, natürlich nur wenn man versucht, beim Fallen eine leichte
Linksrichtung beizubehalten, das wäre gegebenenfalls zu
berücksichtigen. Ein leichter Zupfer am Keil hat zumindest keine
Anzeichen geliefert, dass der Keil nicht halten würde! Passt, es kann
endlich weitergehen, die Fußsohlen beginnen ohnehin schon zu kribbeln,
weil sie so lange auf denselben Tritten stehen mussten. Nach drei, vier
Kletterzügen wartet ein kleiner Absatz, auf dem man wieder durchschnaufen
und einen Blick zurück auf den Riss werfen kann. Wo ist nun der
Keil? Er hängt etliche Meter weiter unten am letzten Schlaghaken (einer
von der Sorte, den man zwar einhängt, dem man aber nicht zutraut, dass er
ein Gewicht halten kann, das die 3 Kilo Marke übersteigt...) Gut, vom
Absatz aus kann man leicht einen Friend in den Riss klemmen, und der ist diesmal
bombensicher...
Standplatz-Diskussion (diese kann stattfinden, weil der Standplatz mit einem
geklebten Ring ausgestattet ist und somit gestattet, sich vor der kommenden
Seillänge zu entspannen; selbstgebaute Standplätze oder solche, die auf vor 20 Jahren
eingebrachtem Material beruhen, bestehend aus alten Sanduhrschlingen aus 4mm Reepschnur,
von der man nicht einmal mehr die ursprüngliche Farbe feststellen kann,
weil sie jetzt komplett schwarz ist, morsche Holzkeile, und Normalhaken, deren
rostigen Schaft man auf 3/4 ihrer ganzen Länge bewundern kann,
schnüren den Hals zu und trocknen die Kehle derartig aus, dass am Stand
üblicherweise gar nichts mehr gesagt werden kann)
"I muaß sogn, i glab nid, dass der oa Friend in der Läng' g'hebt hätt."
"I woaß a nid, oba i glab scho'."
"I glab nid."
"I glab scho'."
Nach ein paar Augenblicken Stille und einem Blick auf die kommenden Meter
folgt noch ein
"Uh, des schaut schwaa aus",
danach herrscht wieder Stille bis zum nächsten geklebten Standplatz.
Letzte Seillänge, die schwierige V+ Verschneidung liegt hinter mir, vor
mir sind nur noch zehn
Meter im vierten Schwierigkeitsgrad. Wie ein Schiffbrüchiger, der mit
letzter Kraft den Strand erreicht, steuere ich den Standplatz an. Wir haben es
geschafft, nach fünf Jahren, in denen niemand den
Georg-Wörter-Gedächtnisweg geklettert ist, haben Hias und ich den
großen Traum, der mir schon seit Jahren im Kopf herumgeht,
realisiert. Ich versuche, am Stand dieser sentimentalen Südsee-Insel angekommen, einen Juchizer
hinauszuschreien, aber es ist nur ein Krächzen, das sich meiner Brust
entringt. Hoffentlich hat das der Hias, der immer noch 30 Meter weiter unten in der
Nordwand hängt, nicht gehört!
Wer am Ausstieg einer der Wirtshörndl-Routen ankommt, der hat noch
einen sehr weiten Weg zurück in's Tal vor sich. Angesichts unserer
Odyssee beim Zustieg über die Metzgeralm sind wir uns wortlos einig,
dass wir in's Loferer Hochtal absteigen werden und nicht Abseilen und über den
schrofigen Vorbau und den zugewachsenen Jagasteig zurückgehen werden. Die
Aussicht auf Essen und Trinken auf der vermeintlich nahen
Schmidt-Zabierow-Hütte tut ihr übriges, dass wir den Abstieg in Form
eines Aufstiegs über die Barmschoß bis unter die Blaue Wand
hindurch antreten. Jedoch stellen wir bald fest, dass nach der "Ende Nie" am
benachbarten Breithorn der zweitweiteste Weg zur Schmidt-Zabierow
Hütte offenbar über das Wirtshörndl führt. Aber es lohnt
sich, die flachen Sonnenstrahlen streifen die karge Landschaft und ein großes
Rudel Gams vervollständigen die Idylle und das Hochgefühl, das wir
in diesen Momenten erleben.
Überhaupt wäre es ein Riesenfehler, nicht bei Käthe und ihren
Helfern auf der Stoaberg-Hütte vorbeizuschauen! Nach der herzlichen
Begrüßung und warmen Aufnahme in die Hütte werden Hias und ich
mit kühlem Bier und heisser Kaspressknödel-Suppe verwöhnt. Nur
einmal müssen wir uns in diesen Stunden auf der Hütte anstrengen,
nämlich bei der Entscheidung, welchen von Käthes vielen leckeren Kuchen wir zum
Kaffee essen sollen. Eine gute kulinarische Unterlage ist auch nötig, denn die Ankunft
zweier weiterer Helden in der Hütte, Christoph und Roli, die heute die
"Ende Nie" geklettert sind und mit denen wir
gemeinsam den Weg zurück in's Hochtal antreten werden, wird sich
verzögern, und wir verkürzen uns die Zeit mit gelegentlichen
Bestellungen weiterer Biere. Ein wenig nervös werden wir dann aber mit
den fortschreitenden Stunden schon,
Hias, weil er sich um seinen Bruder sorgt, und ich, weil ich den Abstieg in
der hereindunkelnden Nacht ohne Stirnlampe antreten werden muss. Als Hias in
der Früh seine kleine Kopflampe in die Jackentasche einsteckte, habe ich
ihn deswegen noch
ausgelacht. Dann endlich, als es bereits recht dunkel ist, wird Hias'
Juchizer in Richtung Breithorn-Abstieg endlich von einem kräftigen
"Holloradijö" aus Rolis Kehle
beantwortet.
Ich bin ein Tänzer in der Nacht. Obwohl die Aufstellung gut durchdacht
ist - Christoph und Hias gehen mit ihren Lampen jeweils am Anfang bzw. am Ende
der Gruppe, sodass jeder von ihren Lichtern profitieren kann - bleiben die
entscheidenden drei Meter vor mir auf dem Weg dunkel, denn ich stehe mir
selbst im Weg. Roli, der als dritter
geht, liefert mit seiner Stirnlampe immer wieder einmal kurz einen Beitrag, um
die Nacht zu erhellen, aber die Batterien der Lampe sind erschöpft und
spenden nach ein paar Minuten Erholung immer nur sekundenweise etwas Licht. In
den Kurven aber, und wenn ich Pirouetten drehe, dann fällt ein
Lichtschein auf die Meter vor mir und ich kann den Fuss sicher auf den Weg
in's Tal setzen. Der ganze Körper ist Fußsohle, jeder Nerv und
jeder Sinn konzentriert sich auf die Topologie des nächsten Meters, um auf dem
steinigen Weg von der Hütte zum Parkplatz nicht umzuknöcheln. Es
vergeht eine nicht enden wollende Zeitspanne in höchster Konzentration.
Nach endlosen eineinhalb - oder waren es zwei? - Stunden erreichen wir endlich
das Hochtal, um ein Uhr nachts sind wir total verschwitzt und fertig. Die
armen Autofahrer, die sich noch auf den Heimweg konzentrieren müssen, während ich
mich bereits fallen lassen kann...
Am Ausgangspunkt des heutigen Klettertags, am Pass Strub, schließt sich
dann der Kreis des (Kletter-)Lebens: im Scheinwerferlicht des Autos tauchen
die Schlafsäcke der "Ende Nie"-Aspiranten des kommenden Tages
auf. Vermutlich haben wir sie nicht einmal geweckt, wahrscheinlich haben sie
schlaflos vor Anspannung vor sich hingedämmert, bis sie von vom
gleissenden Licht derjenigen angestrahlt wurden, die es bereits geschafft
haben. Ganz bestimmt sind die beiden aber keine Prinzen auf dem Weg zu einer der
schönsten Prinzessinnen unter den Routen im Reich des Loferer
Stoabergs, dem Georg-Wörter-Gedächtnisweg am Wirtshörndl; der
wird wohl
in seinen Dornröschen-Schlaf zurückfallen, bis ihn vielleicht in fünf
Jahren wieder eine Seilschaft wachküsst.
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