Die Wallfahrt

Beunruhigt von den Nachrichten, die dem erzbischöflichen Beauftragten für das Bergmesse.- und Wallfahrtswesen zugetragen wurden, schickte dieser sofort nach seinem Sekretär, um von diesem den Wahrheitsgehalt der ihm geschilderten Geschehnisse ermitteln zu lassen. Das Berichtete hätte nicht für soviel Aufmerksamkeit gesorgt, wäre nicht Salzburgs lieblichstes Kleinod, Maria Kirchental, im Zentrum der teils schändlichen Erzählungen gestanden.
Der Sekretär nahm die Entsendung in's Innergebirg ohne äußerlich erkennbare Gemütsregung auf. Nur als er erfuhr, dass er es im Zuge der Ermittlungen auch mit ein paar Nuarrachern zu tun bekommen würde, zuckte er unmerklich mit der Augenbraue, und nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber immerhin, wünschte er sich, die Landesgrenzen wären auch die Grenzen des Erzbistums gewesen.
Der Auftrag erledigte sich schneller als gedacht: der Sekretär brauchte nicht lange, um heraus zu finden, dass es sich bei der HG Stoaberg nicht um eine Splittergruppe der Jungschar von St.Ulrich handelte, und dass die Jungmannschaft Leogang so jung gar nicht mehr war, die Aufregung um eine "Gruppe sektiererischer Jugendlicher" südlich von Lofer also übertrieben war. Der mit der Untersuchung beauftragte Geistliche wollte aber seiner Aufgabe eine gewisse Gewichtigkeit verleihen, und vor allem mochte er nicht mit leeren Händen seinem Vorgesetzten Bericht erstatten. Daher setzte er sich mit den von den Augenzeugen benannten Personen von der Wallfahrt auf's Mittlere Ochsenhorn in Verbindung und bat dieselben, in einem Schreiben an die Kirchenleitung die Mißverständnisse aufzuklären und die unschönen Anschuldigungen zu entkräften bzw. richtig zu stellen.

Im Zuge der Ermittlungen des erzbischöflichen Sekretariats erging schließlich folgende Darstellung an die Bischofsresidenz:

Hannes gibt alles
An das hochwürdige Amt für das Bergmesse.- und Wallfahrtswesen,

wohl scheinen einige Mißverständnisse dafür gesorgt zu haben, dass sich die geistlichen Herren zu Salzburg Sorgen um Leiber und Seelen der Ihnen anvertrauten Schäfchen inner.- und entergebirg gemacht haben. Wir versichern hiermit, dass sich das als "Wallfahrt vom 5. März dieses Jahres" bezeichnete Unternehmen zwar durchaus positiv auf die seelische Verfassung ihrer sieben Teilnehmer ausgewirkt hat, es aber nicht als religiöse Veranstaltung geplant wurde und es somit auch keiner Anmeldung bedurfte.
Gewisse spirituelle Gesichtspunkte kann man dem Unterfangen allerdings nicht absprechen: so wurden, gleichwiewohl von der einzigen uns bekannten Person, die möglicherweise in der Lage gewesen wäre, im tiefen Pulverschnee zu spuren und dabei eine Litanei auswendig herzusagen, keine Teilnahme zu erwirken war, etliche Vater Unser und eine beträchtliche Anzahl Stoßgebete, speziell im doch sehr steilen und felsdurchsetzten Gipfelaufschwung, gebetet, und zirka zwei bis drei Gelübde abgelegt.
Die Behauptung, dass uns am Weg von zweifelhaften Weibern geweihte Speisen angeboten wurde, ist eine irrige. Es handelte sich bei den "Manna-Schnitten" keinesfalls um leichte Mädchen, sondern um ein Gebäck ähnlichen Namens, das entlang des Wegs zwar ausgiebig, aber ausschließlich zur körperlichen Labung benützt wurde. Der Fastenzeit eingedenk wurde sogar auf den Genuß des Eder'schen Gipfelschnapses verzichtet. Stattdessen befand sich in einer der Thermoskannen Brennnesseltee.
Die Abfahrt erfolgte zum überwiegenden Teil diszipliniert. Bei der Kollision am Ausgang der Lärchgrube blieb nur eine einzelne Person auf der Strecke, was angesichts der mit etwa zwei Metern Breite für vier tiroler Skifahrer doch sehr knapp bemessenen Rinne durchaus als Wunder bezeichnet werden kann.
Die Entblößungen einiger Teilnehmer im Wallfahrtsort zu Maria Kirchental geschahen weder zum Zwecke der von der Kirche abgelehnten Praxis der Selbstgeißelung, noch sollte dadurch irgendjemand erschreckt werden, sondern dienten ausschließlich zur Trocknung ebendieser Personen. Die behauptete Freilegung eines Nuaracher'schen Hinterteils ist nicht zu beweisen. Im Gasthof zu Maria Kirchental haben wir uns sehr anständig aufgeführt, was auch daraus ersehen werden kann, dass in der Mehrzahl kleine Biere konsumiert worden sind. Und obwohl die Schi vor dem Hauseingang griffbereit abgestellt waren, wurde die ganze Zeche bezahlt.
Bei der Rückkehr nach St.Martin bei Lofer fand keinerlei Belästigung von Rodlern oder aufsteigenden Personen statt, allerdings wurde ein Entwässerungsgraben durch den Kapitalsturz eines Teilnehmers nicht unwesentlich beschädigt. Die körperliche Unbeschadetheit des Gestürzten darf wohl mit der Anwesenheit des Heiligen Geistes erklärt werden. Das Tüpfelchen auf dem "i" stellt schließlich die Zeit unserer Rückkehr dar, die mit Fug und Recht als "christlich" bezeichnet werden darf.

In der Hoffnung, die hohe Geistlichkeit von unserem durchwegs demütigen Verhalten überzeugt zu haben, verbleiben wir hochachtungsvoll,

HG Stoaberg & Jungmannschaft Leogang

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