A competitive, Pretty Weekend and helter-skelter climbing!

Ein denkwürdiges Wochenende

Mein Wochenende beginnt bereits am Donnerstag um 13 Uhr. Am Vortag habe ich noch schnell beim Sitz des Österreichischen Alpenvereins zwei Packungen Klebepatronen und eine 360 ml Mörtelkartusche besorgt, denn unser Erschließungsvorhaben soll nicht aus Materialmangel scheitern. Jetzt programmiere ich noch etwas lustlos die letzten Zeilen in den Computer, dann beeile ich mich den Rechner auszuschalten und aus dem Büro zu huschen.
Am Sonntag hat Hermann ungewohnt euphorisch von einer neuen Linie im längst für fertig erschlossen gehaltenen, Kleinen Verdon im Kletterparadies Weißbach erzählt, die sich bei näherer Inspektion tatsächlich als wunderschöne, von allen Weißbach-Erschließern bisher übersehene Schönheit erwies. Nicht zuletzt wegen Hermanns bevorstehendem Urlaub, sondern auch, weil es sich schon oft erwiesen hat, dass einem begehrlichen Paar Augen in kürzester Zeit viele weitere folgen, mußte die Erschließung dieser 20 Meter Fels schnell gehen. Eva würde die Haken und Umlenkkette zur Verfügung stellen, Hermann seine Zeit und ich die Bohrmaschine - und auch ein bißchen Zeit.
Um kurz nach 15 Uhr, nach einer wie immer nervenaufreibenden Fahrt von Innsbruck in den Pinzgau, treffe ich den hochmotivierten Freund am Parkplatz, wo wir noch schnell das Material sortieren und uns schnurstracks zu den Felsen begeben. Wir finden schnell eine Arbeitsaufteilung, bei der jeder Gelegenheit hat, sich nach Belieben schmutzig zu machen, sei es mit Bohrstaub, Erde oder Mörtel. Wir unterliegen nur einer Fehleinschätzung, nämlich der, dass es schnell gehen würde...
Nachdem ich das Seil oben fixiert und die Standkette montiert habe, und Hermann die Positionen der Haken markiert und die Hakenlöcher gebohrt hat, lege ich nach dem Einzementieren der Haken schließlich bei bereits leicht dämmrigen Lichtverhältnissen die Auspresspistole zur Seite und begutachte mit Hermann das Ergebnis. Wir sind beide zufrieden. Eva hat mich noch gebeten, bei den leichten Touren im Wald links solide Standketten anzubringen, eine Bitte, der ich gerne nachkomme - umso mehr, als es Hermann trifft, die Montage der Umlenkungen vorzunehmen. Auch wenn er dabei absolut keine Zeit verschwendet, kann er doch nicht verhindern, dass es schon recht düster ist, bis wir dazukommen, das fixierte Material aus unserer Neuerschließung zu entfernen. Mit einigen Murksereien gelingt mir dieses dann auch noch, aber beim Zusammenpacken ist es dann endgültig finster. Ein Gegenstand, von dem ich bis heute nicht weiß, was es genau ist, verabschiedet sich klimpernd aus meinem Rucksack in den stockschwarzen Wald, dieses bleibt aber der einzige Verlust. Glücklich beim Auto angekommen, öffnen wir die zwei sich tatsächlich rein zufällig im Kofferraum befindlichen Flaschen Bier und stoßen auf die Neutour an. Schließlich stellt Hermann endlich die schicksalsschwere Frage: Wie nennen wir die neue Linie, die sich zwischen Vietnam und Pretty Vacant den Weg nach oben sucht?

Freitag, 7 Uhr, mein Wecker läutet. Ich habe in einer Stunde meinen Zahnarzt-Besuch, ein jährlich wiederkehrender Termin, der mir den kalten Schweiß auf die Stirne treibt. Dr. Steiner ist aber zufrieden mit meiner Mundhygiene und entlässt mich erleichtert für ein weiteres Jahr. Die Erleichterung ist groß, und mit federnden Schritten mache ich mich auf den Weg in die Leoganger Kletterhalle, wo DAS Ereignis des Jahres bevorsteht: der 2. Landesjugendcup Bewerb im Sportklettern. Um cirka 9.30 beginne ich mit den Ausschaubarbeiten, um den Routensetzern Didi und Manfred freie Bahn beim Routenbau zu bieten. Nach der Gewaltaktion vor einem Monat mit Hias bin ich im Ausbauen von Kletterrouten routiniert und kann das zügig erledigen. Um 14 Uhr trifft Manfred ein und sichtet, wie sich die Halle am Besten für den Wettkampf nützen lässt. Um 15 Uhr taucht in der Tür erst eine Leiter, dann Didis Gesicht auf. Ein Blick auf die Starterliste, zwei Blicke auf die nackten Kletterwände, drei Sätze, die mit Manfred gewechselt werden, dann geht es los. Um 15.30 schraube ich nach Zuweisung eines Wandbereichs und der entsprechenden Schwierigkeit den ersten blauen Griff in die Wand, etwa eine Stunde später (Zeitgefühl habe ich schon lange keines mehr) befestige ich den Ausstiegsgriff; was ich geschraubt habe, ähnelt verblüffend dem, was ich schon all die Jahre zuvor hier gebaut habe. Wie heißt es so schön: ein alter Hund lernt keine neuen Tricks mehr, oder so ähnlich.
Dann baue ich noch eine zweite Tour, vor den großen Fenstern der Kletterhalle ist es bereits dunkel. Hermann und Tanja haben in der Zwischenzeit bereits das große Zelt, wo morgen die Würscht' gesotten werden sollen, aufgebaut. Wir sprechen kurz über unsere neue Tour, haben aber noch immer keine Ahnung, wie wir sie nennen sollen.
Ehrlich müde und erschöpft hocke ich gegen 21 Uhr auf dem Sofa und trinke eine Limo. Das Klettern und Anpassen der Routen steht an. Der Ausruf "Geh' leck!" schwirrt mehrmals durch mein Gehirn, einmal ganz laut, als ich feststellen muss, dass die Blaue zu leicht ist. Eine weitere Stunde vergeht mit Umbauen, wobei praktisch nichts geredet wird. Es ist 23 Uhr, seit fast 12 Stunden hänge ich jetzt in der Kletterhalle herum, und wundere mich, was der Didi mit den Buntstiften und dem Zeichenblock vorhat. Er zeichnet die Routen für die Schiedsrichter! Leider stelle ich fest, dass er auf das Blatt Papier nur eine - klarerweise seine - Tour aufgezeichnet hat. Es bleibt mir nichts übrig: auch ich setze mich hin und male, ohne jedes zeichnerische Talent ausgestattet, meine beiden Klettertouren ab. Um Mitternacht endlich sind die Routensetzer, und ich mit ihnen, entlassen. Trotz der guten Vorsätze beim Verlassen der Zahnarzt-Praxis heute früh, verzichte ich vorm Schlafengehen auf die Zahnseide und plumpse ungewaschen und todmüde in mein Bett.

Samstag morgen, der durchaus ängstlich erwartete Tag ist endlich da. Ein Haufen Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 17 tummeln sich am frühen Vormittag in der Kletterhalle, aber Manfred, das Organisationstalent, hat die Veranstaltung voll im Griff! Für meine Freunde und mich wird es ein Tag zum Zurücklehnen: mehr als 4 Stunden lang sichern wir mit in den Nacken gelegen Köpfen die Kinder in den Wettkampftouren. Und die schenken den Sicherern nichts! Von jeder Angst befreit gehen die Kletterer bis an und über ihre Grenze und ich sehe nicht nur einmal, wie Hermann einen Sturz, der leicht bis auf den Boden hätte gehen können - einen sogenannten grounder - geschickt abfangen muss. Es gibt aber auch ganz viele reizende Momente, etwa als ein kleines blondes Mädchen mit fast bis zu den Ellbogen weiß eingechalkten Händen sich vor mir aufbaut auf sagt:"Kannst du mich bitte einbinden? Ich hab das Liquid-Chalk schon auf den Händen." Ein ganz besonders kleiner Wettkämpfer erreicht mit Mühe und Not den zweiten Griff und den ersten Tritt, aber dann geht es nicht mehr weiter. Er versucht alles: auf Reibung höher steigen, den Fuß ganz hoch auf den Einstiegsgriff setzen, sogar mir Knieeinsatz versucht er den dritten Griff zu erreichen, aber nichts gelingt. Um ihn herum stehen seine Freunde und Mitkletterer und feuern ihn an und der Kleine läßt auch nicht locker; als nach fünfminütigem Kampf schließlich die Schiedsrichterin voller Mitgefühl fragt, ob er es denn gut sein lassen möchte, sagt er nur ganz schlicht "Jaaa." und steigt zurück auf den Boden. Aber es ist klarerweise nicht alles nur herzig, die Größeren klettern mit höchstem Einsatz und zeigen wirklich tolle Leistungen. Die blaue Tour ist ihnen zu leicht, oje, und Didi, der zugleich Landestrainer ist, sieht sich genötigt, die Tour zu verschärfen, bevor die Burschen der Jugend A und B an die Reihe kommen...
Irgendwann um 16 Uhr ist dann alles vorbei, die Sieger wurden gekürt und geehrt und nun ist die Halle wieder wie leergefegt. Die Kinder waren allem Anschein nach hochzufrieden mit den Preisen, die Hias, der sich gerade in Sardinien dem dolce far niente hingibt, großzügig gestiftet hat, und haben sich gleich nach der Siegerehrung mit ihren Betreuern auf den Heimweg gemacht und uns mit den Aufräumarbeiten zurückgelassen. Ich bin aber derart erleichtert, dass alles so glatt gegangen ist, dass mir das Saubermachen gar keine Angst mehr einjagt; und es stellt sich auch als gar nicht so schlimm heraus! Es ist sogar im Gegenteil wirklich toll, mit dem Team, das sich am Samstag so engagiert eingesetzt hat, diese Arbeiten noch gemeinsam zu erledigen. Solidarität!
Es kommt sogar noch schöner: in der Euphorie des gelungenen Tages beschließen Hermann, Tanja und ich, noch ein paar Routen für den Publikumsbetrieb zu schrauben! Es sollte sogar so weit kommen, dass wir die Kletterhalle bereits am nächsten Tag für die Allgemeinheit öffnen können! Ob dieser Energieschub mit den Pizzen zusammenhängt, die Manfred für uns Helfer bestellt hat, traue ich mir nicht zu sagen. Jedenfalls wird es wieder ein langer Tag, bis ich nach 23 Uhr endlich daheim ankomme und einmal mehr ungewaschen und mit mangelhaft geputzten Zähnen in's Bett gehe.

Vom Sichern und weiteren Routenbauen am Vortag brennen Sonntag Früh die Handflächen. Zum Routen-Putzen wird es schon reichen, aber Bäume lassen sich damit an diesem Tag bestimmt keine mehr ausreissen. Gegen Mittag steige ich zu Hermann und Tanja ins Auto und wir fahren wieder zu unserer Tour nach Weißbach. Wir wissen noch immer nicht, wie sie heissen soll. Hermann bewaffnet sich mit Besen, Drahtbürste und Hammer und macht sich an die Arbeit. Ich empfinde zwar Mitleid mit den Pflanzen auf dem Erdpolster, den Hermann aus dem guten Rastpunkt vor der Schlüsselstelle holt, weil sie bestimmt schon länger an dieser Stelle wurzeln, als ich auf der Welt bin, sehe aber ein, dass es unvernünftig wäre, sie in diesem guten Griff zu belassen. Etwas Ähnliches gilt auch für die beiden Dornensträucher, zwischen denen man auf unserer Route durchklettern muss, wobei man beim Einklinken des vierten Hakens die obere der beiden Stauden genau vor dem Gesicht hat. Sie werden ebenfalls eliminiert. Während Hermann eifrig die Patina vom Fels bürstet und dabei große Mengen Staub und Erde unbeabsichtigt in seine Schuhe am Wandfuß befördert, klettern Tanja und ich im wunderschönen Kalk des Kleinen Verdon.
Schließlich schenkt mir Hermann den Vortritt beim ersten Versuch, die Route zu klettern. Ich kann das gar nicht hoch genug einschätzen, denn selber bin ich bei der Erstbegehung meiner eigenen Touren immer eifersüchtig darauf bedacht, mir diese Ehre selbst teilwerden zu lassen. Es ist das ein wahrhaft großzügiges Geschenk! Der Müdigkeit dieses Tages entsprechend gelingt die Erstbegehung zwar nur ganz knapp, aber immerhin. Und das Wichtigste daran: das Werk ist wahrlich gelungen, Hermann hat eine Linie entdeckt, die ganz bestimmt zu den am meisten gekletterten Touren in Weißbach zählen wird! Sie ist eigenständig, anspruchsvoll und ästhetisch, was könnte man mehr von einer Routen verlangen?
Wir packen nach der erfolgreichen Erschließung unsere Sachen zusammen, und währenddessen überdenke ich Hermanns Angebot, mit auf einen Versuch in "Helter Skelter" im Oberen Wunderland zu kommen. Zunächst habe ich mit den brennenden Fingern energisch abgelehnt, aber jetzt reizt es mich schon, wenigstens noch einmal in diesem Jahr in diese unglaubliche Linie einzusteigen, die seit Didis Erschließung vor vielen, vielen Jahren in einen Dornröschenschlaf verfallen ist. Ich glaube nicht, dass es auf der ganzen Welt viele Routen gibt, die schöner anzuschauen und zu klettern sind als "Helter Skelter"...

Nach einer quasi mehrminütigen Ekstase, die ich am Ausstieg dieses Naturwunders erlebe, läßt mich Hermann zum Einstieg ab. Dieses sagenhafte Wochenende beschert mir sogar noch das große Rotpunkt-Glück, ich weiß nicht, womit ich das verdient habe. Während ich betrunken vor Freude halbnackt im Wald stehe und von der Unwirklichkeit dieses wunderbaren Wochenendes schwärme, grinst Hermann und sagt:"Ich hab's. Wie wäre es mit Pretty Weekend?" Danke Hermann, nichts anderes, kein anderer Name für die neue Route würde es besser treffen!

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