L'Opéra Vertical

Drame joyeux en deux actes

Botzong-Kessel
Auf zum Spiel der Narren! Die ersten Meter über dem Botzong Kessel gehen ungesichert.

Act I

Der Ort des Geschehens: die Predigstuhl Westwand über der Steinernen Rinne im Wilden Kaiser. Zwei grauhaarige Gestalten machen sich in der zentralen Plattenflucht der Wand des Nordgipfels, im "Spiel der Narren", zu schaffen. Sie bewegen sich zwar langsam, aber mit jener Eleganz und Würde, wie sie zwei Rittern vom Gral des gehobenen alpinen Plattenkletterns gut anstehen. Kein einziger Meter in diesem Bühnenakt wird den Darstellern geschenkt, weshalb sich für dieses Stück auch nur Akteure mit ausgereiftester Technik eignen.

Die Bühnenausstattung ist karg: in beträchtlichen Abständen stecken 25 Jahre alte Dübel in der Wand, in denen kurze 8.8mm Petzl Schrauben vor sich hin korrodieren. Dazwischen gibt es den einen oder anderen Normalhaken. Zur Steigerung der Dramatik gibt die Bühne außerdem den Blick auf ein paar Risse frei, in denen Klemmkeile oder Friends mehr schlecht als recht Platz finden. Nachdem am Eingang dieses Aktes der Himmel von eigenartigen, dunklen Wolken samt Morgenrot verziert wurde (Duett:"Schau dir die Wolken an, bleibt das Wetter gut?" - "Ich denk nicht darüber nach, der Wetterbericht sagt Ja."), stellt sich später eine föhnige, dann schlussendlich eine gewittrige Tagesstimmung ein. Während des ganzen Akts ist der glatte Kalk von einer bläulichen Farbe und wird nur kurz von gelblich-weißen Felspassagen unterbrochen.

Auf der Bühne wird wenig gesprochen. Die Mimik (leider kommt die Gestik in diesem Stück zu kurz, da den Schauspielern gewissermaßen Hände und Füße beim Klettern gebunden sind) ist jedoch sehr beredt: ein überraschter Gesichtsausdruck hier, beim Anblick einer beinahe griff-, tritt- und hakenlosen Querungen zum nächsten Standplatz, ein roter Kopf samt geblähter Nüstern dort, in einer besonders pressigen Untergriff-Stelle (hierfür eignen sich die ersten Meter der sechsten Seillänge besonders gut). Immer wieder greift die Musik das Hauptthema dieses ersten Aktes auf: "Warum tun wir uns das überhaupt an?"

Ein Donnergrollen leitet den dramatischen Höhepunkt ein. In einem in pianissimo gehaltenen Rezitativ versucht der am Standplatz nach der Schlüsselstelle hängende Ritter Stefan, die Augen vor der Realität zu verschließen: "Oh Dio! Ich habe mich getäuscht, ich habe mich getäuscht!", während der zweite, kletternde Ritter Hans so mit sich selbst und den winzigen Griffen und Tritten beschäftigt ist, dass er von seiner Umwelt gar nichts mitbekommt. Nachdem der Überhang der siebten Seillänge überwunden ist und Hans erneut gegen die stürmischen Wellen des blauen Meeres aus glattem Kaiserkalk anrudert, können die beiden die Wirklichkeit, die nunmehr aus dunklen Wolken und gut hörbarem Donner besteht, nicht mehr ignorieren. Eine Konfrontation der Ritter ist unvermeidlich: "Klettern wir die Tour noch fertig, gleich sind wir oben!" - "Oh nein, oh nein! Nur weg von hier!" Man entschließt sich zum Abseilen und stellt bangen Blickes fest, dass das Seil zwar nur wenig von der Wand weg, aber doch frei in der Luft hängt. Ein eindringlicher Appell leitet das unmittelbar bevorstehende Gewitter ein (diese Szene ist berühmt geworden als die Es-gibt-keinen-Plan-B Szene): "Pendle, Hans, oh pendle! Verliere nicht den Kontakt zum Fels!".

Die nun folgende Abseilfahrt wird begleitet von Donnerschlägen und dem lauten Rauschen des Regens. Das Wasser rinnt den Rittern beim Kragen hinein, unter der Unterhose durch und bei den Hosenbeinen wieder hinaus. Sowohl am Rücken wie auch am Bauch. Wind kommt auf und treibt Nebelschwaden in die Steinerne Rinne, es wird sehr kalt. Am Einstieg der "Spiel der Narren" angekommen, müssen die Beiden 10 Meter zum nächsten Abseilhaken abklettern - in einem Bach, der die Wand herunterschießt. Ritter Stefan nimmt das Geschehen nur noch verschwommen wahr, aber dies weniger, weil er der furchtbaren Situation im Geiste entfliehen will, sondern weil ihm das Wasser vom Helm direkt über die Brille rinnt. Es folgt eine Variation des Hauptthemas: "Warum? Warum tun wir uns das immer wieder an?" Eine tschechische Seilschaft seilt 50 Meter links von der "Fiechtl-Weinberger" im strömenden Regen ab und singt das Klagelied vom Seil, das sich beim Abziehen verhängt hat. Ihre Anrufung "Can you help us?" kostet Ritter Hans nur ein bitteres Bühnengelächter.

Aber alles geht gut, die beiden Darsteller erreichen glücklich das rettende Gestade des Botzongkessels. Tropfnass packen sie ihre Siebensachen zusammen und machen sich an den Abstieg, einer davon nur mit einer Socke, die andere hat der Bach fortgespült. Die Tschechen haben sich unter dem fortdauernden Gewitter daran gemacht, wieder aufzusteigen, um ihr Seil zu befreien. Der erste Akt schließt aber versöhnlich: als die Hauptdarsteller am breiten Wanderweg zum Stripsenjoch angekommen sind, hat der Regen aufgehört und sogar die Sonne kommt wieder zum Vorschein. Alle sind gerettet - auch die Tschechen.

Act II

Die Partitur zum zweiten Akt ist überschrieben mit "Opera vertical", was bereits auf eine gewisse Feierlichkeit dieses Teils des Werks hinweist. Zweieinhalb Wochen sind seit dem Abenteuer im "Spiel der Narren" vergangen und die Ausrüstung der Akteure beinahe schon wieder trocken. Die Overture beginnt jedoch in einer tragischen Moll-Tonart: am Parkplatz des Arthurhauses angekommen, befindet sich aus unerfindlichen Gründen nur ein Halbseil im Kofferraum des Wagens der Ritter Hans und Stefan. Was tun? (Recitativo, in lingua pinzga: "Wos tamma? Gemma mit oam Hoibsoai?") Die Stimmung wechselt jedoch schnell in ein strahlendes C-Dur, da grundsätzlich auch ein 80 Meter Einfachseil im Auto gelagert ist, dieses eingepackt wird und somit die Tour gerettet ist.

Die Ritter vom Gral des anspruchsvollen alpinen Plattenkletterns streben der Torsäule zu. Das Bühnenbild verzichtet nunmehr weitgehend auf Risse zum Selber-Absichern, dafür stecken mehr und auch bessere Bohrhaken in der Wand. Der Kalk, auf dem sich die Darsteller bald bewegen, ist grau, rauh und steil. Die Ereignisse vom "Spiel der Narren" im ersten Akt scheinen fast vergessen, als beide von den Möglichkeiten des heutigen Tages träumen: "Den schwierige Einstieg? Oder erst den schwierigen Einstieg und danach den ganz schwierigen Einstieg?" Zwar scheint für diesen Akt Allegro ein passendes Tempo zu sein, aber es ist wichtig, das vorgeschriebene Adagio, das sich zeitweise sogar zu einem Lento abschwächt, einzuhalten. Nicht wenige Inszenierungen dieses Werkes mussten scheitern, weil die Darsteller der geforderten agogischen Ausgestaltung der "Opera vertical" nicht gewachsen waren.

Es herrscht reges Bühnengewimmel, am Wanderweg zum Matrashaus singt der Chor der Wanderer vielstimmig und fortgesetzt "Oh wie so weit ist dieser Weg!", während die Hauptfiguren die erste und zweite Seillänge zusammenhängen und flott zur Schlüsselpassage dieser Szene gelangen. Zwischen dem vierten und dem fünften Haken wird den Darstellern Reibungsklettern am großen Ceh abverlangt - ganz schwierig, hier nicht zu patzen! Das Libretto schreibt an dieser Stelle eine Jandl'sche freie, lautmalerische Ausgestaltung in der Art vieler "Uis, uffs" und "hmmpfs" mit vergleichbarer Mimik vom "Spiel der Narren" vor. Die verbleibenden Bewegungskolloraturen nach dieser Stelle bis zum Stand sind dafür nicht mehr allzu schwierig und sehr harmonisch ausgeführt.

Auf der Suche nach dem Gral des anspruchsvollen alpinen Plattenkletterns begegnet den beiden immer wieder der lästige Geist Albert Prechts. Dieser taucht vornehmlich dann auf, wenn die "Opera vertical" wieder einmal mehr oder weniger aufdringlich die von ihm bewohnte "Südpfeiler 93" Route kreuzt. Der Geist verhöhnt die beiden Ritter wegen der vielen Bohrhaken in dieser "vielleicht besten Kletterei und Linie in der Südwestwand", verschwindet aber so schnell wie er aufgetaucht ist auch wieder, sobald eine diffizile Plattenpassage die volle Aufmerksamkeit der Hauptdarsteller verlangt.

Während das Geschehen langsam voranschreitet, besingen die Ritter immer wieder das Ideal des vollkommenen Kletterfelses, nur unterbrochen von unheimlich langsamen Rezitativstellen (Recitativo, a tempo quasi dormendo: "Alles rotpunkt, alles rotpunkt - jetzt nur kein Fehler - alles rotpunkt!") Inzwischen hält sich hartnäckig eine Wolke über der Torsäule, die dem sonst freundlichen Eindruck dieses Tages eine frische Kühle verleiht. In der siebten Seillänge kommt es schließlich zu einer Traumszene: Ritter Stefan hängt wieder einmal frierend am Standplatz und fragt sich, weshalb es den perfekten Klettertag nicht gibt und wieso Ritter Hans nicht schon längst Stand gemacht hat, während Selbiger auf der anderen Seite der Bühne, also 40 Meter oberhalb und außer Sichtweite, über die weiten Hakenabstände in dieser Plattenlänge nachgrübelt und warum ihm niemand davon erzählt hat. Die Tempobezeichnung dieser Szene ist einmal mehr Lento.

Die Traumszene endet am Schuttband, wenige Meter unterm Grat, der zum Gipfel der Torsäule führt. Die zwei Stimmen, die die beiden seit einiger Zeit im Kopf gehabt haben, materialisieren sich plötzlich in Form einer Wiener Seilschaft, die aus der Schluchtkante aussteigt. Solcherart in die Wirklichkeit zurückgeworfen, bringen sie die letzten Meter zum Gipfel über eine zunächst noch steile, dann sich zurücklegende Felsbarriere hinter sich und jubeln schließlich das berühmte "Geschafft, hurra!" in den nachmittäglichen Himmel, in dem in unauffälliger Weise das musikalische Thema des "Lang ist der Weg zurück" aufgegriffen wird.

In der Schlussszene sitzen die beiden Akteure bei der Mitterfeldalm, umringt von einer Menschenmenge, die sie bewundert und sie immer wieder auffordert, von ihren Abenteuern zu erzählen (Chor:"Ach wie toll und tollkühn, erzählt uns mehr davon!") Auch das ist natürlich nur eine Traumsequenz, in Wirklichkeit interessiert sich niemand für die Erlebnisse der Ritter Hans und Stefan. Beide erwachen aus dem Traum, als die Wiener Seilschaft schließlich ebenfalls auf der Mitterfeldalm ankommt. Man speist Würstl mit Kren und Senf und Nussstangerl und lässt es sich in der Gesellschaft von Helga und Christoph, zweier Bekannter aus der fernen Heimat, die ebenfalls den Tag auf der Torsäule verbracht haben, gutgehen. Nach einer nur im Geiste geflüsterten Bach'schen Arie, "Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen" (BWV 517), fällt über die Szene die nächtliche Dämmerung und auf der Bühne der Vorhang.

Hans happy
Am Ende der zweiten, schwierigen Seillänge. Trotz höchst anspruchsvoller Kletterei geht sich ein Lächeln für den Fotografen aus.
Über der Schlüsselstelle
Unmittelbar nach der bei freier Kletterei schwersten Stelle. Und kurz vor dem Gewitter.
Bilderbuch-Einstieg
Bilderbuch-Einstieg der Opera Vertical. Allerdings in der 8+ Variante.
Schlüsselseillänge
Die schwierigste Stelle wartet in Seillänge 3 (bzw. 2). Hans ist schon drüber.
Steile Wand
Steile Kletterei - perfekter Fels.
Licht - Schatten
Die technisch schwierige Kletterei wird gern als "old school" abgetan. Aber hier zeigt sich, welcher Kletterer sein Metier beherrscht!
Bald geschafft
Man könnte am Stand der 6. Seillänge fast glauben, man hätte das Schwerste hinter sich. Physisch oder geistig müde darf man für die weiten Hakenabstände der 7. und 9. Länge hier aber noch nicht sein!
Old school boys
Old school boys, Narren, Mythomanen,... was immer ihr wollt.

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