Die Jauz

Etwas ganz Besonderes


Der Zustieg zur Jauzwand - bereits ein Abenteuer für sich

Am Samstag, den 19.Oktober 2019 findet das HG-Abklettern an der Kasawand statt. Das bedeutet, dass es nach den - selbstverständlich äußerst schwierigen - Routen, die die einzelnen Seilschaften an diesem herrlichen Plattenpanzer absolviert haben, ein gemütliches Zusammensitzen am Lettlkaser bei Kasnocken, viel Bier und beschwingter Musik gibt. Üblicherweise ist das genau das Milieu, in dem großartige, aber auch verrückte Ideen am besten gedeihen. Es dürfte so nach dem vierten Bier passiert sein, dass Albert sich bei mir erkundigt, ob ich an einem der kommenden schönen Tage Zeit für eine gemeinsame Klettertour hätte. Sicher!, laut die in diesem Moment einzig mögliche Antwort. Wow, mit Herzog Al gemeinsam unterwegs sein, das bedeutet für mich schon eine alpine Adelserhebung, immerhin ist er (auch wenn er das wahrscheinlich nicht hören oder lesen will) in und auch außerhalb von Leogang eine Kletterlegende, auf dessen Konto bereits in Jugendjahren viele schwere Kletter- und Bergtouren überall in den Alpen gehen. Als er Die Jauz als Wunschziel bekannt gibt, verschlucke ich mich aber fast an meinem Bier.

Die Jauzwand erhebt sich wie ein Erker aus der Südwand des Birnhorns, ein echtes Schmuckstück von einer Felswand, die praktisch von überall im Leoganger Tal auch gut zu sehen ist. Ihr Ruf ist aber zweifelhaft. Wer sich ein bisschen im Leoganger Stoaberg bewegt, weiß, dass guter Fels - was Sportkletterer von heute eben darunter verstehen - selten ist. Vorwiegend hat es der Kletterer hier bis zu einer gewissen Höhe mit brüchigem Dolomit zu tun, der erst in den höheren Stockwerken vom stark gebänderten, kompakten Dachsteinkalk überlagert wird. Die Jauzwand befindet sich diesbezüglich in einem der unteren Geschoße. Man kann das gut an ihrer Farbe erkennen, die in der Abendsonne ein schönes schwarz-gelb-oranges Licht in die Talschaft wirft. Aber die Beschaffenheit ist nicht der einzige Grund, warum ich in meinem Freundeskreis keinen einzigen Kletterer kenne, der Die Jauz schon einmal geklettert ist. Auch der Zustieg sieht von unten unmöglich aus, ausgesetzt und schrofig. Al kennt aber Wand und Zustieg, er ist beides schon des öfteren gegangen (was nichts an seinem Respekt vor der Route ändert), und will den trockenen und warmen Spätherbst für einen erneuten Freundschaftsbesuch nach 10 Jahren Abwesenheit nützen. Unter solchen Voraussetzungen kann man sich über so ein Vorhaben schon drüber trauen. Als Hias ein oder zwei Jahre vorher Die Jauz als gemeinsames Kletterprojekt ins Spiel brachte, habe ich seinen Vorschlag innerhalb einer Zehntelsekunde verworfen.

Am Dienstag treffen wir uns zeitig in der Früh beim Parkplatz hinter dem Badhaus. Albert wartet bereits auf seinem KTM Motorrad, als ich im Auto mit den Halbseilen und einer Auswahl an Sicherungsmaterial eintreffe. Wir brauchen nur einen Satz Klemmkeile, Standardsortiment, und vielleicht zwei-drei Friends, sagt er. Der Riss, der die Wand durchzieht, ließe sich damit hervorragend absichern und man könne praktisch überall eine Zwischensicherung legen. Ich kann ihm das angesichts meiner eigenen Erfahrungen mit mobilen Sicherungsmitteln im Kalk nicht glauben, packe aber wirklich nur ein Keileset und meine drei Friends in den Kletterrucksack - der trägt sich dafür auch leichter. Dann beginnt der möglicherweise aufregendste und gefährlichste Teil des heutigen Tages: ich nehme am Sozius von Alberts Motorrad Platz, um damit bis zur Riedlhochalm zu fahren, Al hat sich dafür extra die Erlaubnis von Riedlbäurin Heidi eingeholt. Es liegt noch Nebel in der kühlen Luft, sodass meine Brillen auf der Stelle beschlagen und ich nicht erkennen kann, worauf Al am Lenker zusteuert. Ich kann auch keine Hand von den Haltegriffen lösen, um meine Brille zu putzen, zu sehr ziehen mich mein Rucksack und der immer wieder beschleunigende Motor des Motorrads nach hinten. Was ich aber erkennen kann, ist die Tachonadel, die zwischendurch immer wieder einmal auf 50 km/h schnellt. Jede Kurvenfahrt gerät auf dem schottrigen Untergrund zu einer Mutprobe und ich bemühe mich redlich, mich der sich neigenden Maschine nicht zu widersetzen. Zweimal muss ich absteigen, um ein Gatter bzw. einen Elektrozaun zu öffnen, und beide male habe ich das Gefühl eines betrunkenen Matrosen bei seinem ersten Landgang nach Monaten auf See. Was für eine Erleichterung, als wir am Ende der Straße ankommen und das Motorrad im abgezäunten Platz vor der Almhütte geparkt wird.

Wir sparen mit der Anfahrt auf dem Motorrad nicht nur eine Menge Kraft, sondern auch bestimmt eine Stunde Zeit. Die Jauzwand wirkt zwar zum Greifen nah, aber der Weg bis zum Einstieg ist trotzdem zeitraubend und mühsam. Ich gehe den Weg auf den Gamskogel über den Riedlspitz zum ersten mal; hat man die ersten steilen und absturzgefährdeten Höhenmeter hinter sich gebracht, geht es fast beschaulich durch Latschen und Moosbeerstauden hindurch bis auf Höhe des Wildzacken. Dort wenden wir uns dann nach links und stehen vor einem steil abfallenden Graben, der uns von der Jauzwand trennt. Drei Grasbänder ziehen vom Graben weg nach Westen, welches davon an den Fuß der Jauzwand leitet, daran kann sich Albert nach den vielen Jahren der Abwesenheit nicht erinnern. Mein Tip, dass es das oberste sein müsste, erweist sich als falsch. Am oberen Ende des Bandes befindet man sich bereits auf halber Wandhöhe. Also probieren wir es beim mittleren (oder war es das untere?) Grasband. Von meinem Standpunkt aus auf der einigermaßen ebenen Grasschulter diesseits der Schlucht sieht dieser Zustieg fürchterlich ausgesetzt aus, er ist es aber nicht, vor allem tut sich am Ende der weitläufige und gut begehbare Wandfuß der Jauz auf. Albert beschließt, mit Rucksack zu klettern, aber das kommt für mich nicht in Frage. Ich lege deswegen meinen Rucksack vor der Linksquerung, wo Zu- und Abstieg aufeinandertreffen, ab und das ganze Kletterzeug dafür an. Mit meinem Schuhwerk, den FiveFingers-Zehenpatschen von Vibram fühle ich mich in diesem Gelände richtig wohl und beim Klettern würde mich die geringe Zusatzlast dieser Schuhe auch nicht behindern. So komme ich Albert schnell zum Einstieg unserer Route nach, wo er sich nun ebenfalls zum Klettern bereit macht.

Du kletterst de zwoa Risslängen, teilt mir Albert trocken mit. Ich habe mir verboten, auf dieser Tour Schwäche zu zeigen und akzeptiere diese Vorgabe daher widerspruchslos. Sie bedeutet auch, dass ich anfangen darf. Es ist immer wieder erstaunlich: am Tag vor so einer Tour malt man sich - speziell vor dem Einschlafen - die Schwierigkeiten und Gefahren in den grellsten Farben aus. Steht man dann vor der Route, wirkt sie plötzlich gar nicht mehr so feindlich und gefährlich. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben , heißt es. Ich schaue auf die ersten Klettermeter und freue mich richtig darauf, denn der Fels ist zwar nicht bombenfest, aber auf jeden Fall gut und verspricht durchaus Klettergenuss. Außerdem wurden in der Tour vor zehn Jahren die Standplätze mit Bohrhaken versehen und an drei neuralgischen Stellen in der ersten, zweiten und vierten Seillänge ebenfalls Bohrhaken gesetzt. Zumal sichert Al von einer dicken Sanduhr aus meine Kletterei, und das genügt mir, um mich hier zwar vorsichtig aber sicher zu bewegen.

Albert klettert die zweite, technisch schwierige Quergangslänge vor. Der Fels wirkt zwar splittrig und morsch, aber in Summe ist er viel besser, als ich es mir in meinen Angstvorstellungen an den Tagen zuvor ausgemalt habe. Es wirkt zwar verlockend, die Querung direkt anzugehen, es stellt sich dann aber doch als besser heraus, erst nach oben auf ein Band, hinter einem Felsblock vorbei und vor einem dürren Strauch (unglaublich! Ob dieses Wesen noch am Leben ist?) leicht nach unten zu klettern. Die Bandschlinge um den trockenen Stamm des Strauchs gibt eher moralische als tatsächliche Sicherheit. Vor und nach Erreichen des Bohrhakens muss man schon eine sehr feine Art des Plattenkletterns beherrschen, um diese Seillänge zu bewältigen. Aber sowohl Albert als auch ich können uns hier auszeichnen. Der Start in den Riss vom Stand nach der zweiten Seillänge ist dann wirklich sehr anspruchsvoll und fordert mir alles ab. Womit Al aber tatsächlich recht gehabt hat ist, dass sich der Riss tadellos absichern lässt. Zwischendurch kommen mir alte Keile, die im Riss verblieben sind, unter. Ich hänge diese Zwischensicherungen dankbar ein, denn die Risskletterei bleibt bis zum Schluss sehr anspruchsvoll und auch kraftraubend. Nicht eingehängt werden aber die alten Schlaghaken und jene Reste morscher Holzkeile, die die Erstbegeher 1962 zum Fortkommen und zur Absicherung ihres waghalsigen Tuns verwendet haben. So weit reicht mein Vertrauen und meine Vorstellungskraft nicht, dass mich dieses alte Zeug im Fall des Falles halten könnte. Gott sei Dank kann ich nach zwei Drittel der Länge endlich sehr entspannt stehen und mir eine absolut sichere Zwischensicherung bauen, bevor es noch einmal schwierig zum Stand nach dieser absolut lässigen Risslänge geht. Der gelbsplittrige Fels hat unter dem Druck der Gummisohlen meiner Kletterpatschen kein einziges mal nachgegeben, soweit ich mich erinnern kann.

Die zweite Risslänge steht in punkto Anspruch der ersten um nichts nach, allerdings wird man nach ein paar Klettermetern mit zwei Bohrhaken belohnt, sodass man sich geistig wieder sammeln kann und die schwere Kletterstelle, die damit abgesichert wird, mit dem vollen Einsatz der zur Verfügung stehenden körperlichen Mittel bewältigen kann. Die letzten paar Meter zum Stand werden dann sogar von löchrigem, grauem Traumkalk begleitet. Ich baue sehr stolz den Standplatz auf und rufe Albert Nachkommen! zu. Die fünfte und letzte Seillänge klettert dann wieder Albert vor. Er mokiert sich zwar etwas über die zwei uralten, jedem Vertrauen spottenden sogenannten Ami-Haken, die sein Höherturnen absichern sollen, sieht aber auch keine Notwendigkeit, zusätzliche Zwischensicherungen zu legen. Naja, mir, der ich an zwei glänzenden Bohrhaken hänge, soll das einerlei sein. Trotzdem bleibt mein Blick immer wieder fasziniert an einem Ring- und einem Fiechtlhaken hängen, die den wenigen Seilschaften vor mir als Standplatzsicherung leicht ausgereicht haben.

Noch immer überrascht davon, wie schwer sich die letzte Seillänge herausgestellt hat, wünsche ich Albert am Ausstieg der Jauz Berg Heil! und bin ihm ehrlich dankbar, dass er mich auf diese Tour eingeladen hat. Hier und jetzt ist alles überwältigend: die Route, die Umgebung, die Abgeschiedenheit und doch gleichzeitige Nähe unseres Platzes zu Zivilisation und Sicherheit (wo uns doch absolutes Absturzgelände und ein mühevoller Abstieg von dieser Zivilisation und Sicherheit trennen). Wir sitzen Ende Oktober auf einer grünen Wiese mitten in der Birnhorn-Südwand und rasten uns im warmen Sonnenschein aus. Ein Abstecher zum Daubenkopf geht sich auch leicht aus: vom gegenüberliegenden Bärenköpfl ist das schlichte Gipfelkreuz auf seinem Gipfel gut zu erkennen, aber es scheint unmöglich, es auf vernünftigen Wegen zu erklettern. Von hier aus ist es sogar direkt leicht zu erreichen und das kleine Gipfelbuch verrät, dass dieser Gipfel gar nicht so selten besucht wird. Ich füge unsere Namen hinzu und schreibe Anstieg über Jauzwand dazu. Albert, der grundsätzlich keine Worte verschwendet, knurrt ob dieser Zeile:Des is nit die Jauzwond, des is Die Jauz. Wer also das Gipfelbuch aufschlägt, wird unterhalb meines ersten Eintrags die zusätzliche Zeile Die Jauz finden.

Beim Abstieg heißt es noch einmal volle Konzentration zu bewahren, denn Ausrutscher darf man sich in diesem Gelände keinen erlauben. Einige Steinmänner weisen den besten Weg. Gott sei Dank dauert es nicht ewig, bis wir die Abzweigung zum Einstieg und damit etwas sichereres Terrain erreichen. Ich hole meinen Rucksack und wir machen uns an den weiteren Abstieg. Es ist gerade einmal Mittag und ich kann gar nicht glauben, dass wir so schnell gewesen sein sollen. Sogar die abendliche Chorprobe in Salzburg würde sich zeitlich ganz leicht ausgehen.

Vom Riedlspitz geht es dann in großen Schritten hinunter zur Hochalm, wo das Motorrad geparkt steht. Als wir ankommen, liegen am Sitz auf einem Teller fein angerichtet zwei tote Mäuse. Daneben Messer und Gabel und die Botschaft:Mahlzeit!. Albert knurrt grinsend:Der Mesei… Zwei Mäuse zur Jause - ohne Senf und Essiggurken, das geht gar nicht! Die beiden Kadaver werden über den Zaun befördert und Albert bedankt sich telefonisch bei Mesei für das angebotene Mahl. Dann wird das Motorrad startklar gemacht und wir fahren hinunter zur Riedlalm. Die ist zwar nicht mehr bewirtschaftet, aber es wartet ein mit Bier und Radler gefüllter Kühlschrank nebst einer Gelddose, wo der ehrliche Bergsteiger für die willkommenen Getränke bezahlen kann. Das Runterfahren am Rücksitz des Motorrads jagt mir nun fast keine Angst mehr ein, wahrscheinlich weil mich die Schwerkraft nun in Richtung Fahrer drückt. Dafür muss ich entsprechend viel Kraft aufwenden, dass ich mit der Nase nicht ständig an Alberts Helm anschlage.

Auf der Bank vor der Riedlalm sitzend, mit einer Dose Radler in der Hand unsere Wand betrachtend, wiederholt Albert dann immer wieder einen Satz, der mich schon den ganzen Tag begleitet und den ich aus vollem Herzen unterstreichen kann:Die Jauzwond is gonz wos Besonderes!


Der Weg zum Einstieg führt über ein Grasband; davon stehen allerdings mehrere zur Auswahl und man muss sich für das richtige entscheiden.
Der Fels ist weniger schlecht als befürchtet. Wer nicht mit Verdonkalk rechnet, kommt in der ersten Seillänge auf geradezu genussreiche Klettermeter in schönem Dolomit.
Der Quergang der zweiten Seillänge: weiß-gelber, leicht splittriger Fels mit orangen Flechten und spärlichen Sicherungsmöglichkeiten. Eine dürre, tot wirkende Staude, die es hier offenbar schon seit immer gab, wird in die Sicherungskette mit eingebaut.

Knapp vor Ende der vierten Seillänge. Der Riss ist nicht mehr ganz so steil und anstrengend. Körper und Geist beruhigen sich und genießen die unglaubliche Abgeschiedenheit dieses Orts.
Die letzte Seillänge. Albert vertraut den alten Ami-Haken zwar auch nur mehr halbherzig, klettert diese Meter aber trotzdem ohne zusätzliche Zwischensicherungen zuende und hat dann leicht lachen beim Posieren für's Foto.
Alt und neu nebeneinander. Bohrhaken an den Standplätzen nehmen einem viel von der Angst um die Sicherheit. Aber vielleicht liegt das Misstrauen in die Schlaghaken auch nur daran, dass wir es nicht mehr gewohnt sind und auch keine Erfahrung darin haben, sie ordentlich anzubringen.
So nah und doch so fern: Ein Apfel als Belohnung nach den herausfordernden 5 Seillängen am Ausstieg aus der Jauz - einem Thron für Kletterkönige über dem sanften, grünen Tal von Leogang.
Werner Herzog hat vor vielen Jahren ein sehenswertes Porträt der Wand, von Albert Herzog und von Mauern Schurl, einem der Erstbegeher, gestaltet und es der Öffentlichkeit dankenswerterweise auf YouTube zur Verfügung gestellt: Die Jauz , Steile Wände in den Leoganger Steinbergen

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