Mit der Achterbahn, Gold und Kohlen nach Céüse

Tagebuchnotizen einer Kletterreise


Ottovolante, die letzten Seillängen
Montag, 22.7.2019
Um 5 Uhr morgens tauchen die Lichter von Hermanns Auto auf. Kletter-, Camping- und sonstige Ausrüstung für das körperliche und geistige Wohlbefinden an den kommenden 12 Tage liegen bereit. Den ersten Kaffee - richtigerweise Café - gibt es um 9 Uhr in Kolfuschg, dort werden auch die zentralen Stoffwechselvorgänge für den kommenden Urlaub eingetaktet. Einstieg in die Ottovolante am Torre Brunico gegen 11 Uhr. Eine tschechische Seilschaft seilt vom ersten Stand der Route ab und macht den Weg für uns frei. Beim Blick von ebendort zurück zum Einstieg bemerken wir erst, dass sich einer der beiden am Fuß verletzt hat und sich teils am Hosenboden rutschend Richtung Parkplatz bewegt. Gewissensbisse wegen unterlassener Hilfeleistung, umso mehr als bald eine spanische Seilschaft unserem flotten Weiterkommen ein Ende setzt. Nach etwas gebremster, aber trotzdem begeisternder Kletterei folgt ein 15-minütiger Abstecher zum Rifugio Franco Cavazza al Pisciadù auf 2 Bier, 6 Postkarten und ein traumhaftes Dolomiten Panorama. Wir treffen um 19.50 am Campingplatz in Kolfuschg ein, gerade rechtzeitig, um der Autosperre um 20 Uhr zu entgehen und noch 2 Bier im Shop zu bekommen. Essen tun wir dann aber nur eine Portion Pommes und frittierte Oliven, weil außer der Altrove Lounge alle Esslokale im Ort am Montag Schließtag haben. In der Nacht gellt ein Schrei über den gesamten Campingplatz, der den Puls in einer zehntel Sekunde auf 180 jagt.

Dienstag, 23.7.2019
Unsere Schweizer Campingplatz-Nachbarn haben heraufgefunden, dass der nächtliche Schrei einer Engländerin 2 Zelte weiter entfahren ist - sie hatte schlecht geträumt. Gemütliches Frühstück noch bevor die große Hitze sich breitmachen kann. Einstieg in die Oro e Carbone wieder gegen 11 Uhr. Vom ersten Stand herunter begrüßen uns zwei der fröhlichen Spanier vom Vortag. Danach folgen 6 Stunden (Wartezeiten mit einberechnet) lustvolle Turnerei über Lochplatten, athletische Überhänge und technische Wandklettereien mit Runouts. Traumhaft! Die Pausen am Standplatz vertreiben wir uns mit Blicken aus der schattigen Nordwand auf die in brütender Hitze liegende Landschaft unter uns. Ich ziehe mir dabei meine warme Jacke an. Danach wieder der 15-minütige Abstecher zum Rifugio Franco Cavazza al Pisciadù auf 2 Bier. Kulinarisch gehen wir heute kein Risiko ein und essen eine hervorragende weil auch große Portion Pasta ai funghi. In der Gäste-Hierarchie machen wir einen großen Sprung nach vorne, wir bekommen bei unserem Abschied vom Hüttenwirt persönlich ein Stamperl Zirbenschnaps eingeschenkt. Hermann vermisst seit dem Einstieg in die Tour seinen Windbreaker, auf der Hütte taucht er leider auch nicht als vergessenes Kleidungsstück vom Vortag auf. Rückkehr auf den Campingplatz um 19.50 Uhr, wir ergattern noch 2 Bier im Campingshop und freuen uns, dass der Mann an der Kasse vergisst, das Flaschenpfand mit einzuberechnen. Keine nächtlichen Vorkommnisse.

Mittwoch, 24.7.2019
Auf nach Frankreich! Aber nicht ohne vorher noch der Eiszeit einen Besuch abzustatten. Arthur sei Dank, dass er uns auf diesen Klettergarten aufmerksam gemacht hat. Ich habe einen Riesenspaß an der überhängenden Wand mit den unzähligen Löchern, aber leider können wir uns dort nicht allzu lang auf- und auch nicht anhalten, es warten noch viele Kilometer Autofahrt auf uns. Bevor es auf die Autobahn geht, füllen wir das Kaloriendefizit der ersten drei Tage in Pozza di Fassa in einer Pizzeria auf, die auch am Nachmittag geöffnet hat. Drei Tage Italien ohne Pizza, das wäre ja noch schöner! Um unserer Vorstellung von gutem Frühstück und Essen während des Urlaubs gerecht werden zu können, decken wir uns im örtlichen Supermarkt mit Gemüse, Nudeln, Haferflocken und Bier ein. Danach steigt Hermann auf's Gas und lässt das Pedal erst wieder spät in der Nacht ein paar Kilometer südwestlich von Briançon an einem kleinen See los, wo wir mit Hilfe der Tarp-Plane ein provisorisches Dach über dem Kopf bauen und uns in seinem Schutz dem sternenübersäten Himmel empfehlen.

Donnerstag, 25.7.2019
Frühstück in Mont-Dauphin, wir besorgen uns unsere ersten Baguettes und Pain-au-chocolats. Um nicht in den Trubel der Tour-de-France zu geraten, lassen wir uns nicht allzu viel Zeit und brechen bald auf. Im Kreisverkehr vor Embrun, wo die Tour gerade Station macht, werden wir aufgehalten, eine Weiterfahrt nach Gap wäre in den nächsten 5 Stunden nicht möglich, wird uns mitgeteilt, wir dürften maximal ins Zentrum von Embrun fahren. Hermann sucht mit Hilfe des Navis verzweifelt eine Lösung und findet sie auch in Form einer kleinen straßenverkehrstechnischen Unbotmäßigkeit (Fahren gegen die Einbahn) und eines dänischen Kleinbuslenkers vor uns, der ein Absperrgitter beherzt zur Seite schiebt. Entlang der schmalen Straßen und Wege unserer Ausweichroute winken wir dem ziemlich dichten Gegenverkehr aus anderen Tour-de-France Ausweichlern freundlich zu und malen uns im Geiste aus, welchem Chaos diese Fahrzeuge in Embrun entgegensteuern. Letzte Vorräte für die kommende Woche werden in Tallard besorgt (vorwiegend Käse, Aufstriche und Bier), danach folgen die letzten Kilometer nach Sigoyer und auf den Campingplatz in Les Guérins. Der Platz wirkt seit meinem ersten Aufenthalt 1994 mit Hans unverändert, aber wie könnte ich das hier und heute objektiv beurteilen? Wir richten unseren Platz neben einem Allgäuer Kletterpärchen ein und machen uns exakt um 14.23 Uhr auf in Richtung Felsen. In der Femme noire hat mich bei meinem letzten Besuch in Céüse im Jahr 2006 der Einstiegszug abgeworfen, den Rest der Route bin ich on-sight geklettert. Ich möchte diese Scharte auswetzen, bin ja gewarnt, aber auch diesmal schaffe ich den Zug ins große Loch nicht auf Anhieb und klettere dafür die restliche Route sturzfrei fertig. Naja, positiv betrachtet geht es mir zumindest nicht schlechter als vor 13 Jahren, wo ich das noch als großartige Leistung empfunden habe. Der erste Klettertag endet spät am Abend und wir stolpern in zunehmender Dunkelheit zurück Richtung Campingplatz. Abendessen um 22 Uhr, es gibt hervorragenden Salat und Pasta al pomodoro aus dem Glas.

Freitag, 26.7.2019
Hermann hat 2 Baguettes und 2 Pain au chocolat zum Frühstück bestellt, die am Empfang des Campingplatzes abgeholt werden können. In Kombination mit Pfirsichmarmelade, französischem Weichkäse und italienischem Kaffee aus der Mokka-Maschine ergibt das eine hervorragende Grundlage für einen entspannten Klettertag. Ich beende Kapitel 18 von Jared Diamonds Buch Guns, Germs And Steel und beginne mit den Kapiteln 1 und 2 von Andrea Camilleris La vampa d'agosto. Die Zeit bis zum Aufbruch um 14.21 zu den Felsen vergeht lesend wie im Fluge. Apropos wie im Fluge: dank der am Wandfuß deponierten Seile und Expressschlingen schaffen wir den Aufstieg unter einer Stunde und machen es uns einmal mehr im Schatten der Biographie inmitten der bunten Menschenansammlung aus fanatischen Kletterern aus der ganzen Welt gemütlich, bevor der Schatten der gegen Westen wandernden Sonne das Klettern auch in den anderen Sektoren möglich macht. Hermann und ich gustieren unterschiedliche Routen und überlegen, was davon als Urlaubsprojekt in Frage kommen könnte. Die Rückkehr zum Zelt erfolgt nicht ganz so spät wie gestern. Am Menüplan steht Pasta aglio-olio-peperoncino. Da ich die italienische Gewürzmischung noch nicht recht einschätzen kann, wird es eine sehr scharfe Abendmahlzeit, die uns noch einmal an diesem Tag den Schweiß auf die Stirne treibt.

Samstag, 27.7.2019
Es ist Regen angesagt. In der Nacht gibt es bereits einen kurzen Schauer, der Hermann aus dem Schlaf hochfahren lässt, um schnell die leicht geöffneten Autofenster ganz zu schließen und diverse Gegenstände, die im Freien liegegeblieben sind, in Sicherheit zu bringen. Dieser Schauer ist allerdings nach 5 Minuten schon vorbei. Frühstücken können wir wieder, bzw. noch bei trockenen Verhältnissen, danach treffen die ersten Wellen schauerartiger Niederschläge ein. Hermann hat sich bereits eine Strategie für eine geeignete Verspannung des Tarps überlegt, die uns erlaubt, trotz Regens im Freien unseren Aktivitäten - oder sollte ich schreiben: Passivitäten - nachzugehen: Kaffeetrinken und Lesen. Heute Andrea Camilleri, Kapitel 3 bis 6. Der Tag wird zum Rasttag erklärt, wir müssen ohnehin unsere Vorräte ergänzen (Bier und Wein werden knapp), also fahren wir am Nachmittag nach Gap. Der Besuch des Decathlon weckt keine Wünsche nach zusätzlicher Sportausrüstung, das liegt vielleicht aber auch an den geschätzt 5000 Kunden im Geschäft, die bei mir eine ziemliche Beklemmung auslösen. Den Einkauf im Geant-Supermarkt wickeln wir routiniert ab, nur in der Weinabteilung stehen wir ratlos vor den Flaschen mit den aufgedruckten Herkunftsregionen aber ohne Sortenbezeichnung. Ja, ich gestehe, ich bin ein Wein-Banause! Um unserem Rasttag auch eine intellektuelle Note zu verleihen, statten wir vor dem Rückweg dem Regionalmuseum einen Besuch ab. Ganz ehrlich, wir hätten das Museum auch besucht, wäre der Eintritt nicht gratis gewesen. Obwohl die Beschriftungen ausschließlich in Französisch abgefasst sind, ist das Gezeigte so interessant, dass es uns über eine Stunde lang in seinen Bann zieht. Den ins Auge gefassten Besuch des Doms lassen wir danach aber ohne Diskussion fallen. Zurück am Campingplatz regnet es immer noch stark. Wir kochen Polenta ai funghi porcini mit Sugo ai pomodori aus dem Glas, davor gibt es wieder einen Salat mit Hermanns herrlichem Dressing.

Sonntag, 28.7.2019
Das Wetter hat sich beruhigt, soweit die Vorschau von meteoblu reicht, nichts als Sonnenschein. Es gibt Altbekanntes: Kaffee (den ersten um 9 Uhr, danach um 10.30 einen weiteren), Baguette, fromage de chévre, Kapitel 7, 8 und 9. Rund um unser Zelt wird Stretching und Yoga betrieben, von einem Baum hängt ein Slingtrainer und man sieht Kletterer sich über die Black-Roll quälen. Die Ehre unseres Zeltplatzes wird von Hermann gerettet, der zumindest ein Theraband eingepackt hat und damit trainiert. Die kühle Luft der Kaltfront vom Vortag erlaubt uns einen früheren Aufbruch als sonst und auch der Klettertag fällt kälter aus als üblich. Es herrschen also perfekte Bedingungen, trotzdem macht sich eine gewisse Ermüdung breit - sollte ein Rasttag nicht mehr ausreichend sein? Zurückgekehrt verarbeitet Hermann die übriggebliebene Polenta vom Vortag zu gerösteten Polentaschnitten und stellt aus hart gewordenem Baguette eine Art Toast her, der mir zwar schmeckt, dem Camping-Kochgeschirr aber ziemlich zusetzt. In Summe schmeckt es wieder ausgezeichnet, die 0,66 l Gebinde Bier der Marke 1664 harmonieren ebenfalls mit dem Gekochten. Wir überlegen erstmals, wie wir mit den restlichen Urlaubstagen verfahren werden.

Montag, 29.7.2019
Alles wie gehabt. Kapitel 12 und 13 des Buches mit Commissario Salvo Montalbano. Alexey Rubtsov taucht unerwartet im Waschraum auf, sonst haben wir noch keine Prominenz gesichtet und das amerikanische Jugendnationalteam haut uns eigentlich auch nicht vom Hocker. Auch keine Spur von den Horden Innsbrucker Studenten, die sich hier, wie von Arthur prophezeit, tummeln sollten. Eigentlich ist niemand da, den wir kennen, und wir sind froh darüber, jeglichem oberflächlichen Smalltalk dadurch zu entkommen. Der erneut frühe Aufbruch lohnt sich diesmal nicht, ohne Schatten ist es am frühen und mittleren Nachmittag zu heiß zum Klettern. Die Schadenfreude über die von der Sonne geröteten Rücken zweier Kletterer am Vortag rächt sich, auch mein Rücken hat mehr Sonne erwischt, als ihm guttut. Wir beschließen, die restlichen Tage in Céüse zu bleiben und nicht noch ein anderes Gebiet im Zuge eines etappenweisen Rückwegs anzufahren; Wir planen auch keine Rasttage ein, es ist ein ab jetzt ist jeder auf sich allein gestellt, sozusagen. Es gibt Haferflockensuppe zum Abendessen.

Dienstag, 30.7.2019
Müde, erste Schritte die Asphaltstraße hinauf… vorbei an den Sanitäranlagen und dem Pferdestall… rechts durch das mit einem Stück Kabel verschlossene Stück unterbrochenen Zauns, ein paar Meter steil den Weg hinauf und links durch den zweiten, schmalen Zaundurchlass… den breiten Schotterweg entlang, an dessen Ende ein steilerer, schmaler Pfad rechts hinauf führt… entlang der Absperrung mit dem Schild "Chèvrerie de Céüse" immer weiter hoch, bis der Weg nach links Richtung Westen plötzlich flacher wird… Geschwindigkeit aufnehmen, vorbei am schwarz-weißen Schild, das die Benutzung des Wegs nur Campingplatz-Bewohnern erlaubt… wenige Meter danach Kreuzung mit dem Hauptweg, wieder etwas steiler über Wurzeln und Steine hoch Richtung Felsen… durch einen immer feuchten Graben leicht bergab hindurch… am ersten großen Felsblock vorbei… der Weg gabelt sich, rechts schlüpft man durch einen gespaltenen Felsblock, gleich danach vereinen sich die beiden Wege wieder… die erste Kehre, wo man sich nach Osten wendet… gleich danach die Straße, Halbzeit, 10 Meter leicht bergab, danach linker Hand wieder rein in den Wald… gehen, gehen, gehen, Linkskehre - die letzte - wieder Richtung Westen… Felsblöcke, 1, 2, 3, die Rechtskehre, wo der Schnellaufstieg einmündet… Felsblock ohne Sitzgelegenheit, Felsblock mit Sitzgelegenheit… Abzweigung zum Sektor La cascade, durch den ersten befestigen Graben, durch den zweiten befestigten Graben, linke Weggabelung nehmen… steil hinauf… etwas flacher bergauf… ein abgeschnittener Baum… vorbei am ersten Steinmandl, vorbei am zweiten Steinmandl… links weg über den steilen, direkten Pfad zum Sektor Biographie… steile Steinstufen, unterm großen Busch durch… - geschafft!

Mittwoch, 1.8.2019
Die letzten Kapitel meines Sizilien-Krimis sind gelesen, Montalbano ist alt - oder sagen wir: älter - geworden. Melancholisch wie nach jedem ausgelesenen guten Buch sitze ich im Halbschatten der Bäume. Wir essen wieder zu Mittag und es gibt eine gute Haferflockensuppe. Die leichte Nervosität setzt ab 13.30 Uhr ein, bald geht es los. Rucksack packen, noch einmal viel Wasser trinken, oben beim Fels in der Kühle des Abends und dem starken Wind vergeht einem der Durst. Die Finger tun erstaunlicherweise gar nicht mehr so weh wie an den Tagen zuvor. Für La chose muss ich den Einstiegszug mindestens 10 mal ansetzen, bis ich ihn schaffe, und dann auch noch ein zweites mal einsteigen. Die härteste 7c dieses Urlaubs, aber vielleicht gerade deshalb äußerst befriedigend. Hermann hat vor unserem Aufstieg gelesen, dass am Abend der Pizzabus wieder am Campingplatz Station machen würde. Beim ersten Termin vergangene Woche haben wir ihn noch ignoriert, heute ist es keine Frage, dass wir uns eine Pizza bestellen würden. Sie schmeckt dann auch ausgezeichnet und unser Roter harmoniert wunderbar. Er hinterlässt tiefrote Flecken auf Hermanns weißem Campingtisch, aber müde wie wir sind, ist uns das bis zum nächsten Morgen wurscht.

Donnerstag, 2.8.2019
Unser letzter Klettertag. Wir haben großartig geplant und gewirtschaftet, wir werden unsere Vorräte bis auf den letzten Krümel verbrauchen und (fast) nichts heimnehmen oder wegwerfen müssen. Nur mit dem Bier könnte es knapp werden. Heute gibt es Kapitel 19, How Africa Became Black von Jared Diamonds Buch als geistige Beilage sowohl zum Frühstück als auch zum Mittagessen. Es steht wieder einmal Aglio-olio am Speiseplan, aber jetzt beherrsche ich die Dosierung meiner Gewürzmischung, die Nudeln schmecken sehr gut, es sind auch unsere letzten. Unser Weg hinauf zu den Kletterrouten wird heute beinahe beschaulich absolviert, trotzdem finden wir uns erstaunlich schnell und frisch auf den schattigen Felsbändern unter all den Franzosen, Spaniern, Italienern, Deutschen, Tschechen, Slowaken, Briten, Amerikanern, Australiern, Österreichern, Japanern wieder. Wir probieren heute noch einmal unsere liegengelassenen Projekte, wer weiß, ob da noch was geht. Hermann steigt in seines als erster ein. Überall an den umliegenden Felswänden wird geklettert und gestürzt, was das Zeug hält, das ist sehr motivierend. Trotzdem muss sich Hermann bald ins Seil setzen und rasten, bevor er sich den oberen Teil der Route einprägt. Weil wir die Schlingen in der Tour tauschen müssen, komme ich auch noch einmal in den Genuss der Kletterzüge dieser Route. Dann probiert es Hermann ein zweites, ein letztes mal, er wirkt unheimlich konzentriert und schafft tatsächlich den sturzfreien Durchstieg, unglaublich lässig, ich freue mich ehrlich für ihn. Mir gelingt in meiner Tour zwar mit Ach und Krach der Schlüsselzug, ich weiß danach aber nicht mehr weiter und muss leider bei meinem ersten Versuch auch loslassen. Dummerweise etwas zu spät, ich blute aus dem Zeigefinger einen Griff an, und weil unter mir schon die nächsten Aspiranten warten, bekomme ich Stress, den Griff von meinem Blut zu reinigen. Ich bürste und chalke den roten Fleck einigermaßen weg und entschuldige mich bei der jungen Deutschen, die die Route gleich darauf ein- und auch durchsteigt. Danach bin ich sehr hoffnungslos, weil das deutsche Pärchen beschließt, die Nachbartour mit dem gleichen Einstieg zu belagern, und ich mir keine Hoffnung mache, eine zeitliche Lücke für meinen zweiten Versuch zu finden. Und ich hasse es, um einen Versuch betteln zu müssen. Das Problem erledigt aber Hermann für mich. Der Deutsche hätte bei der Frage, ob ich jetzt einsteigen könnte, schon späh geschaut, erzählt er mir später. Tja, und dann lösen sich die Züge meiner Tour auf einmal mit großer Leichtigkeit auf, nicht einmal das Wieder-Einhängen der Schlingen bereitet irgendwelche Schwierigkeiten. Ich freue mich über die großen Augen der jungen Deutschen und ihr Kompliment, ich hab da noch niemand so locker raufklettern gesehen. Oldie but goldie! Da nach so einem schönen Erlebnis weiterklettern zu wollen schon an Blasphemie grenzt, packen Hermann und ich unsere Sachen zusammen und tragen alles zurück ins Tal. Es ist trotzdem spät, als wir daheim bei unserem Zelt eintrudeln, aber wir sehen Licht in der Reception und Hermann schnappt sich die Gemeinschaftskassa und ergattert noch ein Tragerl Bier, das die Feier unserer Erfolge perfekt machen würde.

Freitag, 3.8.2019
Heute nehmen wir Abschied - von Céüse und vom Urlaub. Am Sonntag haben wir beide ein Engagement beim Kinderfest am Moserboden und den Samstag benötigen wir, um uns davor daheim wieder zu organisieren (und um bei der Bergmesse auf der Finstersbachhütte bei den letzten zu sein, die nach Hause gehen.) Ein letztes original französisches Baguette zum Frühstück, Hermann verarbeitet die letzten Eier zu einer Eierspeise, ein letzter starker Espresso, um den Darmstoffwechsel nicht zu verwirren. Routiniert packen wir danach unser Lager zusammen und bezahlen die Campinplatzgebühr: 7€ pro Person und Tag. Frankreich, das Paradies für Outdoor-Liebhaber! Um 10 Uhr Vormittag verlassen wir Les Guérins, um 10 Uhr Abends kommen wir einigermaßen unbeeinträchtigt vom italienischen Urlauberverkehr in Hütten an. Vor dem Schlafengehen noch ein letztes, übrig gebliebenes Kronenbourg-Bier in Pfiffgröße: Au revoir, Céüse, wir kommen wieder!

Am "Gipfel" des Torre Brunico. In 15 Minuten kommt man zum Rifugio Pisciadu und zu einem kühlen Forst-Bier.
Gewaltige Tiefblicke aus der Achterbahn
Die schwere vierte Seillänge der Gold und Kohlen: auf einen athletischen Bauch folgt eine spektakuläre Platte mit Zweifingerlöchern.

Der ideale Spot für's Klettern an heißen Tagen: die Eiszeit!
Ein improvisierter, aber trotzdem ausgezeichneter Schlafplatz am Weg ins Klettermekka.
Spaß pur: in einer von Céüse unzähligen, exzellenten 7b Routen.
So lässt es sich am Fuße der Felsen herrlich aushalten. Unsere Wohnküche mit Schlafzimmer.
Für unsere intellektuelle Fitness suchen wir das Regionalmuseum in Gap auf. Es ist sehr sehenswert und wurde bestimmt schon von so manchem Kletterer an einem Rasttag besucht.
Im Kletterurlaub gibt es immer was zu feiern: eine Rotpunkt-Begehung, einen Geburtstag, einen sonnigen Tag.
Im Sektor Biographie am mittleren Nachmittag: es hängt immer jemand in der Les colonnettes.
Kletterer sind froh, dass die Mauer im Sektor Berlin noch steht.
Studium der nächsten Route.
Abendlicher Ausblick in die Haute Provence und auf Petite Céüse.

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