Briançon, mon amour!

Eine Woche im Haut Val Durance

Sigrid am Rocher Baron
Sigrid gibt sich der Quarzit-Kletterei am Rocher Baron hin
Eine Woche Südfrankreich liegt hinter uns, wo aber soll ich anfangen, die Geschichte dieser Reise zu erzählen? Am besten dort, wo sie begonnen hat, nämlich vor fast einem Jahr, im Spätsommer, während einer Sitzung des Alpenvereinsausschusses. Lehne dich daher zurück, lieber Leser, und nimm dir ausreichend Zeit für diese Geschichte, denn eine Erzählung, die in so einer Sitzung beginnt, dauert erfahrungsgemäß recht lang.

Hias und ich pflegen schon seit geraumer Zeit uns bei den Winterschitouren und den sommerlichen Kletterausflügen im Jahresprogramm der Sektion Leogang abzutauschen. Für das Jahr 2013 bin ich wieder mit dem Klettern dran, nachdem Hias im Vorjahr ein wunderschönes Wochenende im Ötztal organisiert hat. Inzwischen hat es sich bereits eingebürgert, dass so ein Kletterausflug für 2-3 Tage angesetzt wird.
"Duuuu Stefan... - kunnt ma den Kletterausflug naxt's Joar nit auf 4 Tog verlängern?", flüstert mir Karin während eines Tagesordnungspunkt der Sitzung, der uns beide nicht unmittelbar betrifft, zu.
Hmm, 4 Tage - "...warum nicht gleich eine Woche?", flüstere ich, halb im Spaß, zurück "ich hab eh noch soviel Urlaub zum abbauen!".
"Jo gern, i aa!", muss Karin nicht lange überlegen. Und Elisabeth, die neben Karin sitzt und die Sitzung gerade auch nicht ganz konzentriert mitverfolgt, hat überhaupt noch ganz viel Urlaub und kann der Idee auch gleich ganz viel abgewinnen!

Im Touren-Sommer-Progamm, das im Herbst verschickt wird, findet sich schließlich der Eintrag


Im Sommer

Einwöchiger Sportkletter- und Badeausflug
Terminfindung am 28.12. um 19 Uhr, Kletterhalle Leog.
Stefan Steidl

4 Tage nach Weihnachten gehe ich mit einem Block Papier, Kugelschreiber, Terminkalender, Autoatlas und mit zwei möglichen Zielen im Kopf in die Kletterhalle in Leogang und fühle mich angesichts des doch großen Interesses an der Kletterwoche sehr geschmeichelt. Unter den 12 Anwesenden sind viele alte Hasen - ich meine, was die Kletterausflüge betrifft - aber auch einige neue Gesichter sind dabei, die sich zum ersten mal für so einen Ausflug interessieren. Ein gemeinsamer Termin ist schnell gefunden, nämlich die Woche vom 27.Juli bis zum 4.August, und damit auch das Ziel der Fahrt: das Haut Val Durance im Südosten Frankreichs, das sich als Sommerklettergebiet bereits seit langer Zeit einen guten Namen gemacht hat. Die Alternative, falls der Termin in's Frühjahr oder in den Herbst gefallen wäre? Die kann ich leider nicht verraten, vielleicht muss ich ja in zwei Jahren darauf zurückgreifen! Alle potentiellen Teilnehmer tragen sich mit Name und e-mail für den Austausch von Neuigkeiten auf meinem Block ein und ich male den Termin in meinem Terminkalender - dem ersten meines Lebens - dick an. Wir freuen uns alle über die schönen Aussichten, darüber, dass wir uns so schnell geeinigt haben, sind andererseits auch sehr traurig, weil ausgerechnet Karin diese Zeit in Australien verbringen wird und deshalb nicht mitfahren kann; ja, und nachdem wir die Kletterhalle wieder verlassen haben schläft das Projekt "Haut Val Durance" für die nächsten paar Monate sanft ein.

Ganz untätig bin ich in dieser Zeit natürlich auch nicht. So wird per Versand der Kletterführer für die Region geordert und im Internet nach Fotos und Informationen recherchiert. Aber für die Mitfahrer tut sich nach aussen hin eine ganze Zeit lang gar nichts, bis Sigrid so um den 21.Juni vorsichtig nachfragt, ob die Kletterreise wohl noch zustande käme. Höchste Zeit also, allen Adressen auf meiner Liste ein e-mail zu schicken und sie auf dem Laufenden zu halten. Nachdem ich in der Zwischenzeit den Wert von Packlisten er- und anerkannt habe, wird auch noch eine solche für den Ausflug sorgfältig zusammengestellt und als Anhang an das mail mitversendet, mit der Bitte um definitive Zu- oder Absage. Zunächst treffen nur Absagen ein: Evelyn, Bill, Kathi und Andi, Hans,... Dafür meldet sich Tommi, der dieses Jahr ein sensationelles, magnesiafreies Kletter-Comeback feiert, für die Reise an. Sigis Freund Gerald hingegen verletzt sich leider am Fuß und muss auch absagen. Zu guter Letzt sind wir 7 Kletterer: Elisabeth, die den Kontakt zum Sportclub hält und den Bus für uns organisiert, Moni, Sigrid, Stephan, Tommi und ich. Tanja wird in Frankreich zu uns stoßen, nachdem sie dort schon zwei Wochen mit Hermann klettern war - was für eine Ausdauer!

25 Jahre Urlaub, manchmal mit, manchmal ohne Zelt, aber immer mit Isomatte und Schlafsack, haben auf meinen müden Knochen ihre Spuren hinterlassen. Ich erwäge, für diesen Ausflug eine feste Unterkunft mit Betten, die weiche Matrazen haben, für uns sieben Kletterer zu buchen. Der Plan findet aber keinen großen Anklang, Klettern und Auf-dem-Boden-Schlafen gehören einfach untrennbar zusammen, also wird die Packliste um die Camping-Ausrüstung ergänzt. Ich bin darüber letztlich nicht unglücklich, immerhin erspart mir das die Suche nach einem Quartier - was ohnehin einem Alptraum gleichkommt für jemanden, der der französichen Sprache nicht mächtig ist - und ich kann einmal mehr beweisen, dass ich immer noch Bodenschläfer bin und somit nicht zum alten Eisen gehöre. Das sind mir die morgendlichen Rückenschmerzen schon wert.

Am Freitag den 27.Juli um 22 Uhr ist Abfahrt. Elisabeth hat den Sportclub-Bus noch auf Hochglanz geputzt, sodass kein Körnchen Schmutz unseren enormen Haufen Gepäck beschmutzen kann. Die Packliste wurde anscheinend nicht ganz ernst genommen, was angesichts der angeführten Kletterausrüstung zuzüglich 3 Garnituren Reservewäsche (plus Rei in der Tube und sonst noch allerhand Krimskrams) aber nur allzu verständlich ist. Nachdem alle Rucksäcke, Taschen und sechs Kletterer-Körper im Bus verstaut sind, gibt Moni auf der ersten zweistündigen Etappe bis zum Brenner ordentlich Gas. Wir hatten ausgemacht, dass außer dem Fahrer noch der Beifahrer - zugleich Mautgeld-Verwalter - munter bleiben muss, alle anderen sollten inzwischen in Vorbereitung auf die nächsten Fahrerwechsel schlafen. Während des Dahindösens versuche ich mit geschlossenen Augen anhand der Kurven unseren Ort auf der Strecke in Tirol zu bestimmen. Nach 20 Jahren Innsbruck sollte mir das eigentlich gelingen, aber ich täusche mich grob. Als ich uns schon in Going wähne, fahren wir gerade erst einmal in Fieberbrunn ein. Nach dem ersten Fahrerwechsel (es sollte auch der einzige bis zu unserer Ankunft in Briançon sein, Stephans Konzentration sei Dank! Sigrid als gewissenhaft neben ihm wachende Beifahrerin konnte dieser tollen Fahrleistung allerdings weniger abgewinnen, wie sie uns mit dunklen Ringen unter den Augen bei der Ankunft gestand) vergeht die Zeit dann aber erstaunlich flott. Das mag am lebhaften Treiben auf der italienischen Autobahn um 3 Uhr morgens liegen. Während unseres Tankstopps in Desenzano, wo auf der Autobahn-Raststätte fast schon Partystimmung herrscht, soviele Leute machen hier Pause, rauchen, lachen und trinken Café, hält sogar ein italienischer Handwerker mit einer Leiter auf der Ladefläche seines Kleinlasters an einer Zapfsäule. Um 3 Uhr morgens. Ein italienischer Handwerker.

Fast scheint unsere Fahrt glatt zu laufen, dann aber flitzt die grüne Hinweis-Tafel nach Sestriere bei der Abzweigung an uns vorbei und schon sind wir am Weg nach Bardonecchia und fahren dem ominösen Tunnel-du-Frejus entgegen. An der Mautstelle vor der Einfahrt in den Tunnel sind wir dann alle richtig wach: 54 € werden uns für die einmalige Befahrung der Verbindung nach Frankreich abgeknöpft. Unfähig, uns eine Fluchtmöglichkeit auszudenken oder uns auf die Gegenfahrbahn zu retten, und geschockt von dieser unerwartet hohen Ausgabe finden wir unsere Sprache erst wieder, als wir am anderen Tunnelende zwischen steilen, von der Sonne beschienenen Felswänden französichen Boden betreten.Briançon ist von hier aus am schnellsten - und am billigsten - über den berühmten Col du Galibier zu erreichen. Stephan, mit bedrohlich gegen 0 weisender Nadel auf der Benzinuhr, nimmt beherzt die unzähligen Kurven auf das über 2600 Meter hohe Col unter die Räder des grünen Toyota Hiace und so finden wir uns um 8 Uhr morgens den weißen Gletschern und Schneefeldern der Barre des Écrins gegenüber. Es ist ein atemberaubender Anblick und macht den mühsamen Umweg irgendwie wieder wett.

Um kurz nach 9 Uhr treffen wir mit Hermann und Tanja zusammen, die die Nacht im Bus neben einem idyllischen Bach im Val-des-Prés verbracht haben. Ein paar Minuten, nachdem Hermann über die Freiheit geschwärmt hat, mit der man in Frankreich überall campieren darf, werden wir von einem sehr höflichen französischen Aufsichtsorgan befragt, ob wir verbotenerweise die Nacht an diesem Flüsschen verbracht hätten. Nein, lautet Tanjas bestimmte Antwort, wir würden hier nur frühstücken. Und für einen Teil der Gruppe ist das nicht einmal gelogen.
Der erste Klettertag verläuft nach der anstrengenden Nachtfahrt für uns alle etwas mau. Dass es sich um außergewöhnliche Umstände handelt, wird mir spätestens bei Tommis erster Kletterroute klar, als ihm zum ersten mal seit Jahren der Fuß von einem Tritt wegrutscht. Müde und erschöpft checken wir am späten Nachmittag am Campingplatz "L'iscle de Prelles", der sogar ein Schwimmbad besitzt, ein. Dank Tanjas gutem Französisch funktioniert das problemlos, und wir bauen bald unsere kleine Zeltstadt auf einem großen Stück grüne Wiese auf. "Kleine Zeltstadt" darf übrigens wörtlich genommen werden: bei der Bemessung der Schlafplätze haben wir die Raumangaben auf den Zelt-Hüllen herangezogen, die sich auf die Platzbedürfnisse eines Lagers V einer Himalaya-Expedition beziehen. In Summe haben wir, kann man sagen, pro Zelt einen Platz zuwenig, bzw. geht sich beim Zelt-Angebot die strikte Trennung von Männlein und Weiblein auf je ein Zelt nicht aus. Tanja weicht deshalb nach einer ersten, schlaflosen Nacht mit synchronen Seitenwechseln aller Zeltinsassen zum Schlafen auf die zweite Sitzreihe des Sportclub-Bus aus.
Nach den notwendigen Einkäufen im nahen Carrefour-Supermarkt - zuvor haben wir uns noch von Hermann verabschiedet, der schon am Ende seines Urlaubs angekommen ist und noch am Abend den Heimweg antritt - steht dem ersten gemeinsamen Nachtmahl (leckeren Nudeln mit Tomatensauce, die hatte ich noch nie auf meinen Kletter-Camping-Reisen!) nichts mehr im Wege. Sogar der Inhalt einer Flasche Wein findet schnell den Weg durch unsere Kehlen, sodass wir uns satt, müde und zufrieden in unsere Zelte zurückziehen, in großer Vorfreude auf einen langen, nächsten Klettertag.

Am Sonntag erwarten uns ein leckeres Frühstück mit frischen Baguettes und ein Schock: unser treuer, grüner Sportclub-Bus weigert sich bei der Abfahrt vom Campingplatz zum Klettergebiet, den Rückwärtsgang einzulegen. Eigentlich weigert er sich, den ersten Gang freizugeben. Nach heftigem Herumrütteln am Ganghebel, bei dem ich in ahnungsvoller Erwartung des Schlimmsten heiße, rote Ohren bekomme, plötzlich ein lauter Tuscher, und ich habe wenigstens den Leerlauf drinnen. Aber keine Chance zu schalten. Stephan gelingt es, bei gestopptem Motor einen Gang einzulegen, aber während der Motor läuft kann auch er nicht mehr schalten. Wir können zwar losfahren, aber nicht in die höheren Gänge wechseln, dafür stinkt die Kupplung. In meinem Kopf tauchen Alptraum-Bilder auf von einer gestrandeten 7-köpfigen Alpenvereinsgruppe mit enorm viel Gepäck und ohne fahrbaren Untersatz. All unsere Hoffnungen ruhen auf dem Besitzer eines in der Nähe gelegenen Quad-Parks, der sich als Mechaniker entpuppt. Bis er sich Zeit nehmen kann trinken wir Café und Limo, teilen dem Sportclub mit, dass wir seinen Bus voraussichtlich in Frankreich auf den Schrottplatz führen werden, rufen beim ÖAMTC an und raten der nachreisenden Yvonne eine Minute vor Abfahrt ihres Zuges vom Einsteigen ab, denn wir würden sie am Abend unmöglich vom Bahnhof in Oulx abholen können, zumindest nicht mit diesem Bus. Yvonne steigt zwar trotzdem in den Zug ein, was mutig ist angesichts der Aussicht auf eine Nacht in oder auch außer irgendeiner Unterkunft in einer 3000 Seelen Gemeinde im italienischen Hinterland, aber am Bahnhof Brenner wieder aus, was in dieser Situation unser aller Meinung nach das Vernünftigste ist.
Als sich der Quad-Park-Besitzer schließlich nach ein paar Erkundigungen über unsere "embrayage" hinters Steuer klemmt und mit Tanja und mir am Beifahrersitz losbraust, haben wir vom ÖAMTC ebenfalls schon Hilfe zugesichert bekommen. Jetzt aber gibt der Mechaniker auf der schmalen Straße erst einmal ordentlich Gas, tritt dabei immer ein paar mal fest auf die Kupplung und schaltet dazu, als ob es kein Getriebeproblem gäbe. Wir führen das auf seine makellose Technik des Kupplung-Tretens zurück (zweimal kräftig Pumpen vor jedem Schalten) und werden von ihm, zum Quad-Park zurückgekehrt, etwas ratlos entlassen. Wir beschließen, den Bus zurück zum Campingplatz zu fahren, wo wir den ÖAMTC erwarten würden, und siehe da, das blöde Getriebe verhält sich mit einem mal lammfromm, ganz sanft läßt es sich von mir bedienen. Nachdem wir zwei Stunden anstatt der in Aussicht gestellten 60 Minuten gewartet haben, stehen wir endlich dem Mann im Auftrag des ÖAMTC (eigentlich ADAC, denn der ÖAMTC-Vertreter war anscheinend nicht auffindbar) gegenüber, einem französischen Automechaniker, der sich von unserer embrayage nicht beeindrucken läßt und noch schneller als sein Kollege vom Quad-Park durch die engen französichen Dorf-Gässchen braust und dabei demonstrativ den Ganghebel mit nur zwei Fingern bedient. Während Tanja mit ihm spricht, sitze ich da wie ein Idiot, der sich die Kupplungsprobleme offenbar nur eingebildet hat. Als Meisterstück seiner Fahrkunst kutschiert der Franzose uns beide noch durch die schmale Unterführung, die als Abkürzung zum Campingplatz dient, und wo die Seitenspiegel nur 5 cm von den Wänden entfernt sind. Ich springe am Ende der Fahrt ganz schnell aus dem Bus, um noch einen Hauch von der stinkenden Kupplung als Beweis unseres Problems zu erschnüffeln, aber nichts rund um den Bus herum riecht mehr verbrannt. Wir geben dem Mann ein Trinkgeld als Entschädigung für den verpatzten Sonntag und beschließen, spät aber doch, mit unserem als für geheilt befundenen Vehikel das Klettergebiet anzufahren. Wir werden die restlichen Tage unseres Urlaubs keine Probleme mehr mit dem Sportclub-Bus haben. Das Klettern ist für mich nach all den Aufregungen an diesem Tag irgendwie dann nur noch Formsache, aber nichtsdestotrotz unglaublich toll auf einem für uns ungewöhnlichen Gestein und vor einer herrlichen Kulisse.

Für unseren dritten Tag im Haut Val Durance, der zugleich Tanjas Geburtstag ist und mit einem kleinen Ständchen samt pain au chocolat mit Kerze und einer Piccoloflasche Sekt festlich gefeiert wird, ist schlechtes Wetter angesagt. In der Nacht hat es auch tatsächlich etwas geregnet, aber am Morgen sieht der Himmel bereits wieder recht freundlich aus. Zunächst. Nachdem uns das Gas zum Kochen ausgegangen ist, muss als erstes eine neue Gas-Buddel angeschafft werden, was in Frankreich ein Leichtes ist. Nach dieser Erledigung im Baumarkt, der in Briançon "Bricorama" heißt, geht es mit einer neuen Einkaufsliste erneut in den Supermarkt. Diesmal darf Stephan Tanja bei der Suche nach den Waren in den Weiten des Carrefour-Supermarkts unterstützen, insbesondere bei der Suche nach etwas Fleisch, auf das der Ärmste nun schon seit Tagen verzichten muss. Meine Haferflockensuppe vom Vorabend konnte sein Verlangen nach etwas Wurst oder Speck leider auch nicht stillen. Ich sitze währenddessen im Bus und beobachte die immer dichter und dunkler werdenden Wolken, die sich schließlich heftig auszuregnen beginnen. Am Campingplatz haben die Wartenden inzwischen Hermanns neueste Anschaffung, ein Tarp, das er uns netterweise für unseren Aufenthalt zur Verfügung gestellt hat, regensicher und windfest gemacht und darunter Schutz gesucht. Eigentlich wollte ich diesen Regen- und Sonnenschutz angesichts unseres beschränkten Platzangebots im Bus nicht annehmen, jetzt aber macht er sich voll bezahlt, weil er uns gestattet, trotz des niederprasselnden Regens im Freien beieinander zu sitzen. Das sollte also unser erster Rasttag werden, zwar etwas verfrüht aber wir machen daraus das Beste, indem wir Briançon einer ausgiebigen Besichtigungstour unterziehen. Das Städtchen ist wirklich sehenswert, die in einen Verteidigungsring von Festungsanlagen eingebettete Altstadt geizt nicht mit Reizen und interessanten Geschäften und immer wieder verschwinden eine oder mehrere unserer Damen in einem der Läden der langen, steil abfallenden Hauptstraße. Kulinarischer Höhepunkt dieses Tages ist ein Besuch in der Crêperie. Unglaublich, was man alles in so eine Palatschinke einwickeln kann! Wir essen sie zwar alle süß, aber jeder bestellt sie in einer anderen Variation. Dazu trinken wir Café und blinzeln in die Sonne, die sich inzwischen wieder den Weg durch die Wolken gebahnt hat. Als Verdauungsspaziergang komplettieren wir unsere Runde durch die Stadt, Moni und ich nicht ohne noch eine salzige Version eines Crepes zu probieren, steigen auf die Festung hinauf und von dort wieder hinunter zu dem kleinen Nationalparkmuseum des Parc national des Écrins. Auf der Fahrt zurück zu unserem Quartier darf natürlich der obligatorische Besuch eines Kletterfachgeschäfts nicht fehlen, wo ein Paar Kletterschuhe, zwei Spitzen-Campingteller in grün und blau, ein T-shirt und hübsche Hemdchen von Patagonia erworben werden. Auf diese Weise vergeht der Rasttag sehr schnell und schon finden wir uns wieder zum gemeinsamen Kochen ein. Diesmal finden auch Würstl ihren Weg auf den Grill, was die Gefahr bannt, als Vegetarier-Kletterausflug diffamiert zu werden.

Dienstag ist Abreisetag. Nicht dass wir schon wieder nach Hause fahren würden, aber Hermann und Tanja haben uns von einem kleinen Campingplatz in La-Roche-de-Rame weiter südlich erzählt, der an einem Badesee liegt und ganz bestimmt einen Besuch wert ist. Beim Abbau der Zelte finden Elisabeth, Moni und Sigrid heraus, weshalb sie gut geschlafen haben: das Zelt steht genau auf einer enormen Lacke, sodass auf der Isomatte Wasserbettverhältnisse herrschen. Die heiße Sonne am strahlend blauen Himmel trocknet aber schnell die übrigen nassen Sachen, sodass wir flotter als gedacht den freundlichen Campingplatz bei Prelles verlassen können.
Weit müssen wir Gott sein Dank nicht fahren, kaum 20 Minuten später biegen wir am "Camping du Lac" in La-Roche-de-Rame ein, wo uns ein Zettel an der Tür der Rezeption herzlich einlädt, bis zur Rückkehr des Empfang uns doch selbst einen genehmen Platz zu suchen. Platz 8 sieht gut aus, Platz 42 sogar noch besser? Oder doch lieber Platz 43 mit Blick auf den See? Man sagt mir, ich solle entscheiden. Wie ich aber den Bus auf Platz 42 lenken will (der zugegebenermaßen zu klein für den Bus und drei Zelte ist, aber das will ich nicht unbedingt zugeben), höre ich schon die ersten Stimmen, Platz 8 wäre doch viel größer und schöner. Wortlos drehe ich mit dem Bus um und stelle ihn auf Platz 8. Beim Wiederaufbau der Zelte läuft alles wie am Schnürchen, Ruckzuck steht alles an seinem Platz und Tommi verwirklicht einen tadellosen Aufbau und meisterhafte Verspannung des Tarp, die, ähnlich seinem Kletterstil, einmal mehr große Bewunderung auslöst.
Die nächste Entscheidung des Tags steht an: die Sonne scheint so heiß vom Himmel, dass das Klettergebiet für den Nachmittag wohlüberlegt sein muss. Eigentlich steht das Gebiet schon seit Tagen fest, nach "Les Traverses et la Vignette" sollte es gehen, zu interessant schaut das Foto vom Sektor "Lezaroide" im Kletterführer aus und zu sehr hat Hermann von der elefantenhautartigen Felsstruktur geschwärmthat, als dass ich noch länger warten möchte. Ein schneller Blick auf die Exposition des Felsens am Topo zeigt "SO", für Südost, also ideal für den Nachmittag. Den Befehl zur Abfahrt führt die Gruppe, die unterm Tarp herumzulungern beginnt, gerne aus. Am Fels der französischen Ausrichtung Sud-Ouest angekommen wird mir bewusst, dass wir uns in die pralle Sonne geflüchtet haben, so wie auch ein sächsisches Ehepaar mit ihrer Tochter. Und nur ein schattenspendender Baum am Einstieg der leichteren Routen. Die anderen denken sich anscheinend nicht viel dabei und grasen motiviert die langen Touren auf den kurvig geschichteten Kalkbändern des "Lezaroide" ab, ich aber ärgere mich über mich selber, die Kompassrose am Topo falsch abgelesen zu haben: seit wann wäre Osten links? Um die Scharte auszuwetzen, schlage ich am frühen Abend noch einen Gebietswechsel vor. "Bouchier" sollte garantiert im Schatten liegen. Während wir die unglaublich ausgewaschene und schlechte Straße in diesen Weiler ober Saint-Martin-de-Queyrières hinaufschleichen, und dabei unerwartet viel Gegenverkehr haben, macht sich das Gefühl breit, der Gebietswechsel könnte ein Fehler gewesen sein. Schließlich verpassen wir auch noch die richtige Abzweigung und stranden auf einer schönen Almwiese im Niemandsland. Frustriert setze ich mich auf einen Stein und lasse mich von den Fliegen auffressen. Meine lieben Freunde nehmen die Situation aber nicht so tragisch und packen die Pétanque-Kugeln aus. Boccia auf der Alm, zwischen Steinen und Latschen, wenn das kein exklusiver Sport ist! Damit klingt dieser Tag der falschen Entscheidungen doch noch versöhnlich aus.

Am Mittwoch morgen um Punkt 8 Uhr gibt es frisches Brot. Der Lieferwagen der Boulangerie "Edelweiss" aus L'Argentière-la-Bessée fährt mit halsbrecherischer Geschwindigkeit und zweimaligem Hupen am Campingplatz ein und parkt vor den Versorgungsanlagen. Der Seitenladen fliegt auf und dahinter erscheint eine junge Französin mit diesem schwer beschreibbaren "Sag-schnell-was-du-willst-und-dann-lass-mich-in-Ruh" Ausdruck im hübschen Gesicht. Als ich endlich an der Reihe bin, bestelle ich in meinem besten Französisch "quatre baguettes, quatre pains au chocolat et quatre croissants". Ich bekomme das Gebäck und dazu eine Gesamtsumme gesagt, die ich natürlich nicht verstehe. Die Dame seufzt auf die "ach-du-meine-Güte" Weise und schreibt mir den Betrag auf: 11,60 €. Ich gebe ihr einen 20 € Schein und bekomme dafür im Gegenzug eine Frage auf Französisch und den dazu passenden Gesichtsausdruck, es sollte wohl bedeuten, ob ich das Geld nicht kleiner habe. Ganz sicher bin ich mir aber nicht, und auf's Geratewohl "No" sagen will ich auch nicht, ich kann nur verwirrt schauen und schweigen. Schließlich beginnt sie Münzen aus ihrer Kassa herauszuzählen, macht dabei ein "Oh-Jesus-und-Maria" Gesicht und brummelt vor sich hin. Ich denke, es bedeutet, kurz gesagt, "Sch...". Während wir etwas später unser wie immer leckeres, gesundes und ausgiebiges Frühstück genießen, hören wir in der Ferne den Laden zufallen und wenige Augenblicke später braust die junge Bäckersdame in vorgebeugter Haltung der Ausfahrt des Campingplatz entgegen. Was für ein temperamentvoller Tagesbeginn!
Unser heutiges Klettergebiet, "Freissinières", ist einfach nur toll: obwohl es ganz südseitig ist, spenden Bäume am Wandfuß Schatten, ebenso wie eine enorme Verschneidungswand unsere davor liegende Wand abschattet. Bis zum frühen Nachmittag können wir bei angenehmen Temperaturen unserem Lieblingssport frönen. Tommi erntet die üblichen "Ahhh!"s und "Ohhh!"s für seinen Kletterstil, und ich leider keinen Rotpunkt der 8a, die mir gleich bei unserer Ankunft in's Auge gesprungen ist, schade. Dann erreichen uns am Ende doch die Strahlen der glühenden Sonne. Das ist das Zeichen, zurück zum See neben dem "Camping du Lac" zu fahren, Schwimmen zu gehen und die diversen Affenschaukeln an den über die Ufer des Sees ragenden Ästen auszuprobieren. Dessen ungeachtet brechen wir drei Männer, Tommi, Stephan und Stefan, am Abend noch zu einer schnellen Klettertour im nahegelegenen Gero auf, wo Stephan in einer 6b beim allerletzten Zug zur Umlenkung den gepumpten Unterarmen Tribut zollen muß. Beim Rückweg in der Dämmerung steigt uns leckerer Pizza-Duft in die Nase.

Wenige Minuten, nachdem ich die Augen geöffnet habe, nehme ich das Geräusch eines aufheulenden Motors wahr und nur Sekundenbruchteile später hupt es zweimal direkt vor unserem Zelt: die Bäckerin ist da. Alles wiederholt sich genau so, wie es schon am Vortag war: Laden auf, Schnoferl in's Gesicht, einer nach dem anderen wird bedient, bis ich an der Reihe bin. Ich sage meinen Spruch auf "Quatre...". Ich habe vorsorglich 12,60 € vorbereitet, um ihren Wechselgeld-Vorrat heute zu schonen. Sie errechnet denselben Betrag wie gestern - Gott sei Dank - und ich gebe ihr den Schein und die Münzen, die sie mit einem "Du-bist-Luft-für-mich"-Gesicht entgegennimmt. Sie sondert sodann den 10 € Schein und die 2 € Münze aus, schiebt mir die 60 Cent zurück über den Tisch und kramt aus ihrer Kassa noch vier 10 Cent Münzen heraus, die sie mir mit einem "der-Nächste-bitte"-Blick überreicht. 100%-ig befriedigend war dieser Einkauf münzentechnisch gesehen irgendwie auch nicht.
Bisher haben wir uns mit der Hitze ganz gut abgefunden, an den Felsen fanden wir entweder etwas Schatten vor oder aber zumindest einen kühlenden Wind, am Campingplatz konnten wir uns tagsüber unter das Tarp flüchten und an den Abenden waren wir sogar das eine oder andere mal um die Daunenjacken froh. Überhaupt, um das an dieser Stelle festzustellen, machte sich bereits eine Art Routine unter uns Campern bemerkbar, die das Leben im Zelt und Kochen im Freien ohne viele Worte organisierte. Worin wir allein noch wenig Routine entwickelt haben, ist das Genießen von Rotwein im Weinland Frankreich. Jedenfalls war die Hitze bisher ein Nebenthema, heute aber sollte es endlich in ein wirkliches Schattengebiet gehen. Im Kletterführer empfehlen sich dafür die Kongolmeratfelsen der Befestigungsanlage in Mont-Dauphin. Zunächst herrscht allgemeine Skepsis, denn Hermann hatte mit seinen Schwärmerein über Quarzit und Kalk bisher recht behalten, zum Konglomerat des Haut Val Durance hatte er sich aber weniger positiv geäußert. Am Parkplatz des liebenswerten Städtchens zu Füßen der mächtigen Festung verflüchtigt sich diese aber schnell beim Anblick der vielen Sektoren jeglicher Ausrichtung und Steilheit. Moni, unsere Botanikerin und Gärtnerin zieht es nach dem Aussteigen magisch zu einer Weide inmitten des Parkplatz, wo sie sofort Zweige abzuschneiden beginnt. Eine für uns anderen mysteriöse Handlung, von der wir hoffen, dass sie uns keine Konfrontation mit einem französischen Ordnungshüter einbringt.
Falls es Mont-Dauphin zu einiger Bekanntheit gebracht haben sollte, dann weniger wegen seiner Klettermöglichkeiten, sondern wegen der zahlreichen "marmotte", zu deutsch Manggei, die sich am steilen Burghang angesiedelt haben. Die Stadt hat extra einen breiten Weg zur Beobachtung der putzigen Tiere angelegt, der von zahlreichen Familien mit Kindern genutzt wird. Wir treffen auch auf ein dickes Murmeltier, das träge neben unserem Anstieg sitzt und weder pfeift noch flieht, als sich Stephan bis auf einen Meter dem Tier nähert. Schließlich trollt es sich dann aber doch mit typisch französischer Gleichgültigkeit, und Stephan tut es ihm gleich. Ich darf gestehen, die Kletterei im Konglomerat ist genau meines, war es auch schon im Höttinger Steinbruch und in Mühlau zu Innsbrucker Zeiten. Ich habe an diesem Tag einfach nur Spaß, und den anderen geht es - mit einer Ausnahme - nicht anders. "Super!", sagt Sigrid, "am Stephan taugt's zwoa überhaupt nid, owa i find die Kletterei volle gutt!" Der Grund für die Diskrepanz ist schnell gefunden: dort, wo wir anderen mühelos drei unserer schlanken Finger in die für Konglomeratkletterei typischen Löcher stecken können, muss Stephan zwei seiner Finger erst mühevoll hineinsortieren. Monis Weidenzweig-Sammlung offenbart inzwischen auch ihren Zweck: ein Weidenkorb nimmt zu Füßen der Felsen erste Form an.
Nachdem wir uns ordentlich verausgabt haben, fordert Elisabeth endlich einmal ein nachmittägliches Kaffeetscherl ein. Wir finden den passenden Ort am Fuß des Burgbergs in Form eines liebevollen Gartencafés: inmitten eines wundervoll gepflegten, aber nicht zu sehr gepflegten, Gartens stehen drei große Tische und eine Bude mit einer Dame dahinter. Dort trinken wir etwas und genießen die Ruhe und die schönen Farben des Gartens. Moni, inzwischen mit noch mehr Weidenruten ausgerüstet, streift mit Kennerblick durch die Beete und findet auch ein Blume, die sie gern in den Pinzgau mitnehmen würde. Die Besitzerin des Gartens gibt ihr die Erlaubnis, ein paar Samen zu ernten und stellt ihr sogar ein Plastiksackerl zur Verfügung.
Am Abend sind Tommi und ich wieder in Freissinières, allerdings nicht um zu klettern, sondern um Tommis Five.Ten Anasazi verde einzusammeln, die er dort gestern vergessen hat. Die anderen wähnen wir inzwischen im Badesee, worin wir uns aber täuschen. Schlußendlich war die Trägheit unterm schattigen Tarp stärker als die Lust auf's kühle Nass, wie wir bei der Rückkehr erfahren. Wir aber haben den ungeplanten Ausflug noch zu einem weiteren Einkauf genützt und uns mit ausreichend "panaché" (Radler), Obst, Gemüse und Knabbergebäck eingedeckt, um einen weiteren, feinen kulinarischen Abend am "Camping du Lac" zu verbringen.

Am nächsten Morgen liege ich wach im Zelt und warte. Man hört, wie das Tor zum Campingplatz geöffnet wird und dann ein schweres Fahrzeug unheimlich beschleunigt. Obwohl ich gefasst bin, reißt es mich bei den zwei Huptönen kaum zwei Meter von meinem Schlafsack entfernt. Auch heute wartet bereits eine kleine Schlange auf frisches Brot von "Edelweiss". Die Brotlieferantin ist wieder einmal die personifizierte Gleichgültigkeit, ich gebe zu, ich habe mich fast ein bißchen in sie verliebt. "Bon jour! Quatre...". Heute habe ich 21,60 € vorbereitet in meiner Hand und die Rechnung macht - welch Überraschung - 11,60 € aus. Sie nimmt das Geld, zählt nach, zögert... und greift zum Taschenrechner. Vor lauter Überraschung fällt mir das Brot aus der Hand und eine nette Dame im Schlafmantel hilft mir, die langen Baguettes wieder auf meinen Unterarmen zu stapeln. "Na-und?", sagt meine Bäckerin schweigend.
Beim Ausparken komme ich mit dem Bus an den Zeltschnüren unserer französischen Nachbarn von schräg gegenüber der Straße an. Na, mehr braucht es nicht, um eine ganze französische Familie samt zufällig anwesendem Besuch aus den Camping-Sesseln hochfahren zu lassen und mit Händen und Füßen gestikulierend ihrem Unmut Luft zu machen. Das ist ja fast noch ärger als bei uns! Für den vorletzten Tag der Reise haben wir noch einen Trumpf im Ärmel: die enge Schlucht des Rif d'Oriol, ebenfalls ein Empfehlung von Hermann und Tanja. Wir verbringen einen wundervollen Tag zwischen den eng aneinander stehenden Felswänden, die Schatten spenden und von einem kleinen Bach durchflossen werden. Auch hier die gefalteten Kalkbänder mit ihren Einlagerungen. Für jeden von uns sind schöne Kletterrouten dabei und entsprechend gelöst sind wir am späten Nachmittag bei unserem Wiederaufstieg aus der Klamm in's gleissende Tageslicht. Oben stiebt alles auseinander, denn jeder will vor der Heimfahrt noch ein Lavendel-Sträußchen pflücken. Der Weg zurück nach La-Roche-de-Rame führt über ein kleines Café an einem der Hauptplätze von L'Argentière-la-Bessée, schräg gegenüber der Boulangerie "Edelweiss", wo uns Tommi mit der Bestellung eines Kwak-Biers in einer einem Kolbenglas aus einem chemischen Labor entlehnten Gefäßform überrascht. Ganz trinkt er es aber nicht aus, wahrscheinlich ist es doch noch zu früh am Tag - oder aber es ist mit seinen 8,4 Prozent Alkoholgehalt einfach etwas zu stark. Zurück am Campingplatz erweist er sich aber trotz dieses Negativ-Dopings einmal mehr als der "Roi de Boccia". Irgendwie gelingt es ihm beim Boule spielen immer wieder, seine Kugel am nächsten zum Ziel zu setzen. Ich bin direkt erleichtert, dass wir das Spiel zugunsten des Abendessens in der benachbarten Pizzeria abbrechen müssen. Heute abend, dem letzten der Reise, belohnen wir uns mit Essen auswärts. Über die Pizza gibt es nicht viel zu sagen, sie schmeckt uns allen gut und ist erwartungsgemäß teuer. Wären wir allerdings nicht in die Pizzeria gegangen, wären wir beim Eintrudeln am Campingplatz nicht auf die nette, ältere, beschwipste Dame gestoßen, die sich genötigt fühlt, uns Fremdlinge genauer unter die Lupe zu nehmen. In erster Linie trifft es Elisabeth, sich mit der Oma eines Enkelkinds auseinanderzusetzen, was schwer ist, wenn man selbst zwar die Sprache beherrscht, das betrunkene Gegenüber es aber nicht mehr tut. Glücklich entkommen stellt sie für uns von unserem Tisch aus aber noch eine Zeit lang eine recht lustige Unterhaltung dar, die wir bei Panaché und Bier gespannt verfolgen.

Es ist Samstag und somit Abreisetag. Wehmütig vernehme ich zum letzten mal die zwei Huptöne der mobilen Bäckerei. Mit abgezählten 11,60 € stehe ich vor diesem anmutigen Gesicht mit dem Kratzer auf der Nase. Erst fällt ihr eines der vier Baguette meiner Bestellung auf den Boden, das sie mit einem Fluchwort in die Ecke ihres Lieferwagens befördert, dann auch noch ein Croissant. Diesmal entkommt ihr tatsächlich ein "Merde!", das alle anwesenden Wartenden zum Schmunzeln bringt. Ich sage ihr auf Deutsch, wieviel es ausmacht, aber sie versteht mich nicht - und hätte mir sowieso nicht geglaubt. Einmal noch bewundere ich sie in ihrer vorgebeugten Rennfahrer-Haltung, als sie an unserem Frühstückstisch vorbei aus der Anlage hinausbraust, während ich in meiner kleinen Email-Espressotasse umrühre. Es ist Zeit zu packen und so, als hätten wir nie etwas anderes gemacht, verstauen wir unsere Ausrüstung in den Taschen, Hüllen, Säcken, Kisten und Rucksäcken. Monis Weidenkorb ist inzwischen fertig, er ist ein von allen bewundertes Meisterwerk geworden, das vorerst nur einen Stein in Herzform, darauf eine Art Wurz, und ein Lavendel-Sträußchen aufnimmt und einen Sonderplatz im Sportclub-Bus erhält.
Ganz ungenützt wollen wir den Tag nicht verstreichen lassen, darum besuchen wir noch ein Granit-Klettergebiet gleich jenseits des Col du Lautaret. Die Fahrt dorthin dauert länger als erwartet, es herrscht viel Verkehr, und dann sind wir beim ersten Anblick der Felsen etwas enttäuscht, weil sie so mickrig aussehen. Das ändert sich aber schnell, sobald wir ersten Felskontakt haben. Eigentlich beginnt uns die Granitkletterei gleich so richtig zu taugen, Stephan findet sich ein Riss-Projekt, das er gern klettern würde - aber dann macht uns ein Gewitter einen Strich durch die Rechnung und Regen zwingt uns, zusammenzupacken und die Fahrt nach Hause anzutreten, was vielleicht gut ist, denn von allein wäre es uns wohl schwer gefallen, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu bestimmen.
In Le-Monêtier-les-Bains gönnen wir uns noch eine zweistündige Pause: es ist gerade Markt und wir haben noch keine Mitbringsel. Kaffee-Zeit ist außerdem auch noch, und wir verbringen sie auf der Straße vor einem netten kleinen Kaffeehaus. Nach einem spannenden Ausparkmanöver, das Tommi fast einen Herzinfarkt beschert, weil ich seine Stopp-Zeichen falsch interpretiere und bis auf einen Zentimeter an das Blech eines hinter mir parkenden Autos herankomme, geht es schließlich über Briançon hinauf auf den Montgenèvre und nach Italien hinunter.
Die Heimfahrt ist zermürbend, auch wenn der Abend auf der fast leeren Autobahn nach Turin noch einen gewissen Zauber in sich birgt. Turin, Mailand, Bergamo, endlich Brescia! Wir sind müde und hungrig. In Sirmione fahren wir von der Autobahn ab und gehen noch Pizza essen. Stephan, der jetzt am Steuer sitzt, möchte uns vorher noch die Schönheit der Sirmion'schen Halbinsel zeigen, aber er dringt mit diesem Ansinnen bei uns nicht mehr durch. Schlußendlich Rovereto, Trento, Bozen, Brenner - schön, endlich in Österreich zu sein! - Innsbruck, Wörgl... Zwischen drei und vier Uhr morgens treffen wir wieder in Leogang ein, wo Gerald schon auf Sigrid wartet. Die Verabschiedung ist kurz und schmerzlos, alle sind wir müde und wollen nur noch in's Bett...

Frankreich klingt aber stark in mir nach, sonst hätte ich mir nicht die Zeit genommen, unsere Fahrt in dieser Ausführlichkeit aufzuschreiben. Ich frage mich, ob irgendjemand sich durch diese vielen Zeilen bis zu diesem Schluss vorarbeiten wird. Ich werde es sicher von Zeit zu Zeit tun, um mich an diese 8 gemeinsamen Tage zu erinnern. Man hat es nicht in der Hand, ob so eine gemeinsame Reise gelingt oder nicht, auch wenn es nur ein paar Tage sind und wir uns alle kennen und miteinander befreundet sind. In diesem Fall weiß ich aber, dass ich eine wunderschöne Zeit in einer außergewöhnlichen Landschaft mit besonderen Menschen erlebt habe und das nicht vergessen will.


... und Tommi tut das ebenso!

Gleissende Sonne und starker Wind - Tanja bereitet sich auf den Einstieg vor.

Kein Sturz - nur Ablassen im Gegenlicht.

Morgens früh am Frühstückstisch

Der unscheinbare Zugang zum stark befestigten Städtchen Briançon. Bei ebenso starkem Regen.

Briançon's Hauptstraße. Beim Auslagen-Schauen nicht auf die Wasserrinne am Boden vergessen! Zumindest ein Schuh wurde deswegen schon nass.

Detail über einem Hauseingang. Wer mögen die drei Personen sein, und haben sie sich gut verstanden?

Süße Crêpes und Kaffee, welch herrliches Mittagessen!

Gruppenbild mit Dame(n)

Moni in Freissinières...

... und Sigrid ...

... und ich ebendort.

Wir waren nicht allein im Konglomerat in Mont-Dauphin unterwegs. Aber man soll schöne Sachen bekanntlich ohnehin teilen.

"In den Kletterpausen sollst du jausnen!"
Hundshörndl
Blick in den Parc national des Écrins

Die Weidenernte

Hier zeigt sich der Praktiker!

"Wem's an Bräune föhlt, der ölt."

Tommi beweist Grazie im Rif d'Oriol

Der beeindruckende Kanal

Elegant unterwegs ist auch Elisabeth

Abendstimmung am Campingplatz

Granit am Fuße der Barre des Écrins

Das Rissprojekt, Minuten vor dem Regen

Tanja's letzte Kletterroute nach drei Wochen in Frankreich. Sie gelingt ihr natürlich Rotpunkt!

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