8:05 - Am Plattenkopf durchstoßen wir die Nebeldecke.
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Am Mittwoch, den 27.Februar, um 14:40 erhalte ich in der Arbeit ein email von Hias, mit folgendem Wortlaut:
Betreff:AW:Wochenende
Hi Stef,
Sind am Wochenende am Spielberg eine Variante gegangen die ich noch nicht kannte; Spielbergalmen zum Brett und dann hinten runter zum Forstweg;
Schnee war tip top
was hältst von der Leoganger Steinbergdurchquerung?
Von Schallnerbauer über Hainfeldscharte über Birnhorn - Hundshorn und Barbara Scharte nach Hochfilzen bzw Vorderkaser...;
Lg
Um 14:54 schreibe ich zurück:
Betreff:AW:Wochenende
Hm, ich wollte am Wochenende eigentlich was Gescheites gehen ;-)
Puh, konditionell sollte es möglich sein, psychisch muss ich mich aber noch darauf einstellen.
Vom Dürrkar die ganze Gratüberschreitung über's Birnhorn zum Ritzenkar mit Ski am Rucksack oder
die kürzere Variante mit Skiabfahrt von der Kuchlnieder zum Hundshörndl?
Wir könnten natürlich auch über's Hochbrett nach Hochfilzen fahren.
Mit Firn von der Barbarascharte zum Römersattel würde ich nicht rechnen und die Vorderkaserklamm hinaus kann recht mühsam sein;
und dann über die Langlaufloipe zurück zum Schallner :-)
Machen wir's am Freitag fix.
Inzwischen viele Grüße,
Stefan
Wir haben es schließlich fix gemacht. Am Samstag um 6 Uhr früh stehe ich bei Hias im Vorhaus, den Rucksack voll gepackt mit der
wichtigsten Ausrüstung für so ein Unternehmen, nämlich einer ausgiebigen Jause.
Zwei Käsebrote, zwei Packungen Mannerschnitten, viele Apfelspalten
und ein Liter Wasser. Hias hat drei Liter Flüssigkeit vorbereitet und füllt sich vorm Weggehen gerade ein weiteres Glas Saft ein,
als ich ihn belehre, dass man nicht auf Vorrat trinken kann. Die Antwort folgt prompt und logisch,
dass man nämlich ja auch mit einem Flüssigkeitsdefizit losgehen kann.
Ohne lang nachzudenken nehme ich sein Angebot an, ebenfalls noch ein großes Glas Wasser zu trinken.
Am Tischler-Bichl, über den wir zum Lettl aufsteigen, liegt nur noch wenig Schnee und über uns hängt eine dicke Nebeldecke.
Wüssten wir nicht, dass wunderschönes Wetter angesagt ist und irgendwo nicht allzu hoch über uns gerade die Sonne aufgeht,
wir hätten vielleicht Schwierigkeiten, uns zu motivieren. So aber steigen wir entlang der Rennstrecke des seinerzeitigen
"Gerstboden-Rennens" hinauf zum Sommerweg vom Mitterbrandt zum Kaser. Hias hat die Zeit bis zum Birnhorn
kalkuliert. Um Mittag, erklärt er, werden wir den höchsten Punkt unserer Tour erreichen. Fast möchte ich laut auflachen,
6 Stunden bis auf's Horn, das packen wir doch viel schneller. Zwei Stunden auf's Haimfeld, sage ich, und dann meinetwegen
noch drei bis zum Birnhorn. Zwei Stunden auf's Haimfeld geht sich im Sommer ohne Rucksack und mit Stecken nur schwer aus,
erwidert Hias, er hat's ausprobiert. Mir vergeht das Lachen: dann werden wir wohl auch keine Chance haben, den Bus um kurz vor
zwei an der Vorderkaserklamm zu erreichen? "Naa, des werd se nid ausgeh'", kommt die Anwort.
Beim Eintritt in den Wald prangt ein übertrieben
großes Schild der Initiative "Respektiere deine Grenzen", über das ich mich gleich furchtbar aufregen kann.
Während wir nebeneinander den breiten Waldweg entlang gehen, erläutere ich dem Hias meinen Standpunkt dazu und breite
Argument um Argument aus, warum man gegen Betretungsverbote sein soll.
Nach einigen Minuten sagt Hias, es wäre doch gescheiter, wir würden hintereinander in derselben Spur gehen.
Nein, nicht um meinen Redefluss zu beenden, sondern um beim gleichzeitigen Gehen im Pulverschnee Kräfte zu sparen - sagt er.
Am Plattenkopf durchbrechen wir die dicke Nebelsuppe, in der wir die letzte halbe Stunde entlang einer mühselig
im steilen Wald angelegten Spur
aufwärts gestiegen sind. Uns erschließt sich ein prachtvolles Panorama, das wir während der ersten Pause der heutigen Tour
ausgiebig genießen. Frisch gestärkt stürmt Hias förmlich dem Haimfeld entgegen, sodass ich Mühe habe, ihm zu folgen.
Auf den steilen Südhängen ist der Schnee hart gefroren und bereit, den später Nachfolgenden als Firn große Abfahrtsfreuden
zu bereiten. Kurz vor 9 Uhr kommen wir am ersten Etappenziel an und können einen Blick auf den weiteren Verlauf
unserer Tour werfen, während wir uns zur Abfahrt in die Höll' bereit machen.
Bei den ersten Schwüngen im lockeren Pulverschnee der Schattseite höre ich den Hias juchizen. Die Befürchtung, dass sich
auch auf den Nordhängen schon ein Harschdeckel gebildet hat, ist offenbar unbegründet. Am Vortag hat die Bettl noch erzählt,
dass der Schnee vom Wimbach herunter, wo er bekanntermaßen lang pulvrig bleibt, schon ordentlich geschnitten hat. Aber das
liegt an der Talnähe, erklärt mir Hias. So hoch heroben sind die Bedingungen ja ganz andere als unten im Tal. Nach gut 100 Höhenmetern
pflügen wir die ersten Harschplatten um. Wir fahren weit links, ganz rechts, probieren es in der Mitte - der Schnee ist überall
schwer zu fahren und wir plagen uns mit der harten Schicht, die der Wind gezaubert hat. Schade, es hatte so schön angefangen.
Meine Empfehlung, möglichst nach links hinüber zu fahren, in eine Rinne, wo ich vor ein paar Wochen Spuren gesehen habe, wird
ignoriert, und ich beharre auch nicht darauf. Manchmal leider, öfter aber Gott sei Dank ist der Hias von einem einmal gefassten Plänen
nicht mehr abzubringen: am Fuß der Abbrüche vom Mitterhorn angekommen sehe ich erst, dass es die von mir behauptete, zweite Rinne gar nicht
gibt, bzw. wir ohnehin da hinunter gefahren sind, wo ich die Spuren gesehen habe. Hätte ich mich durchgesetzt, dann würden wir in diesem Moment
wahrscheinlich irgendwo da oben in den Schrofen uns fluchend die Schi ausziehen und an den Rückweg nach oben machen.
So fellen wir im lichten Wald der Grub wieder auf und machen uns auf Richtung Dürrkar. Nur vier Spuren vom Vortag zählen wir vom
Hochzinth herunter. Diejenigen, die sie gezogen haben, konnten offenbar noch wundervollen Pulver genießen. Ohne einen Höhenmeter zu
verschenken, ziehen wir ziemlich flach nach Westen und entscheiden recht bald, über die Metzhörndlnieder in's Dürrkar zu gelangen.
Ich darf vorangehen und spuren. Offenbar geht es mir gut, dann Hias meint, schneller brauche ich nicht durch den teils lockeren, tiefen,
dann wieder hart gefrorenen Schnee zu stapfen, er komme sonst kaum nach.
Keine Menschenseele ist zu sehen, obwohl der Tag so strahlend ist und die Stunden doch bereits vorgerückt sind. Unter der starken
März-Sonne scheint der Übergang in's schattige Nachbarkar nicht näher kommen zu wollen, aber irgendwann stehen wir dann doch
am Punkt, der die Grub vom Dürrkar trennt, und können uns einen weiteren Schluck aus der Wasserflasche gönnen. Im Dürrkar finden
wir keine einzige Spur vor, dafür aber die Verlockung einer tollen Abfahrt - wieder Pulver - der wir angesichts unserer Pläne
leider entsagen müssen.
Um kurz nach 11, nach einer kräfteraubenden Querung über den letzten steilen Hang, wo eine
Schicht Triebschnee bindungslos auf einer harten Unterlage das Weiterkommen erschwert, kommen wir dort an, wo die "gewöhnliche"
lange Skitour in's Dürrkar normalerweise endet. Ein erster Blick in's Ebersbergkar macht deutlich, dass reger Betrieb herrscht und wir
bald vielen Tourengehern Rätsel aufgeben werden. Wir schnallen die Schi auf den Rucksack und freuen uns, dass wir so auf dem felsigen Grat
auf die Kuchlnieder recht flott vorankommen werden. Vielleicht geht es sich ja aus, dass wir um Mittag am Birnhorn stehen können.
Mir fällt Hias Berechnung vom Morgen und meine Reaktion darauf ein. Eigentlich schade, denke ich am Einstieg, dass der Grat auf's Kuchlhorn hinauf
durchgehend mit Seilen versichert ist, wo bleibt da das Abenteuer?
Auf solche Abenteuer kann ich glatt pfeifen, geht es mir durch den Kopf,
als ich mich zum wiederholten Mal krampfartig am Seil festklammere und mich mühsam über
eine ausgesetzte Felsstufe hinauframpfe, und ich bin heilfroh, dass ich mich mit dem schweren Gepäck am Rücken nicht an gefrorenen
Kalkleisten einhalten und mit den Schischuhen auf schwindlige Tritte hinsteigen muss.
Überhaupt dauert es ewig, bis wir den Grat hinter uns bringen und hier merke ich zum ersten mal, wie mich die Kraft schön langsam verlässt.
Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben, es mache keinen Unterschied, ob die Schi an den Füßen festgeschnallt sind, oder ob sie auf den
Schultern getragen werden - es liegen Welten dazwischen! Eine halbe Stunde brauchen wir für den Grat und blicken schließlich um
kurz vor Mittag sehnsuchtsvoll, aber auch sehr stolz, vom Kuchelhorn hinüber zum bereits sehr gut besuchten Birnhorn. Was für ein Ausblick!
Aber es ist auch sehr überraschend, wieviele Spuren im Ebersbergkar verlaufen, auch hinüber zum Hundshörndl sind schon welche vor uns
gegangen. Wir nehmen uns nur kurz Zeit zum Schauen und gehen gleich weiter auf die Kuchelnieder, wo sich schon ein ansehnliches Ski-Depot befindet.
Der Grat, im Sommer ein Klacks, verlangt im Winter aufmerksames Gehen und Schauen, um sicher bewältigt werden zu können.
Bereits das erste Skitouren-Pärchen erkundigt sich neugierig, was wir denn mit den auf den Rucksack geschnallten Ski am Gipfel vorhätten,
während es sich die Steigeisen montiert. Während wir - ohne Steigeisen - immer müder die mit Drahtseilen versicherten Bänder weitersteigen, kommen uns
Leute auf dem Rückweg vom Gipfel entgegen, und alle erkundigen sich wegen der Ski.
"Ihr werdet doch nicht etwa die Südwand..."
Die Versuchung ist groß, in geheimnisvollen Andeutungen die Möglichkeit der Befahrung der steilen Südwand mit Ski offen zu lassen,
aber Hias und ich sind dafür viel zu ehrlich.
"Naa, wir gehen die Überschreitung über den Westgrat, für die Südwand scheissen wir
uns viel zu viel an. Und die Verhältnisse sind ausserdem auch nicht gut."
Jedenfalls sind Ski am Birnhorngipfel eine Seltenheit, und
wir freuen uns über die vielen überraschten und fragenden Blicke als wir uns nach mehreren kurzen Stopps um 13 Uhr am Birnhorn "Berg Heil"
wünschen.
Man sollte nicht glauben, wie schwierig der Westgrat vom Birnhorn herunter ist, wenn es keine Aufstiegsspuren gibt und man mit
einem unglaublich schweren Rucksack unterwegs ist, Skischuhe an den Füßen hat und überhaupt schon sehr müde ist.
Ich habe mich selten so "patschert" gefühlt wie in diesen Augenblicken. Aber dem Hias scheint es auch nicht viel anders zu gehen.
Als wir endlich am Ansatz des Grats ankommen, stellen wir fest, dass wir seit nunmehr 2 Stunden die Ski am Rücken schleppen, die Pause am
Birnhorn allerdings eingerechnet. Ich bin unglaublich erleichtert, dass wir sie jetzt endlich anschnallen können, um hinüber zur
Reisensandscharte zu rutschen. Von hier aus betrachtet sind wir von der Kuchelnieder lächerlich wenig weit entfernt
und sehen jetzt, dass die Überschreitung und
das Tragen der Ski eine Sondereinlage darstellen, die eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.
Aber die Überschreitung soll uns trotzdem erst einmal einer nachmachen!
Die Fahrt zum Hundshörndl entlang von Schaleithörnern und Rothörndl läßt uns die notwendigen Kräfte sammeln, um den Schlussanstieg
noch bewältigen zu können. Der Hang ist schon gespurt und so kommen wir eigentlich relativ frisch am Hundshörndl an. Kurz überlegen
wir, ob wir über das Hochbrett nach Hochfilzen abfahren sollen, aber zu verlockend scheint uns der Schnee in der Saugrube. Es ist etwa
drei Uhr und Hias ruft daheim an, um einen Zeitpunkt für's Abholen auszumachen. Er sagt, um halb fünf würden wir am Vorderkaser-Parkplatz
bereit stehen. Ich wundere mich noch, wie er auf diese Zeit kommt, in einer Stunde müssten wir es doch eigentlich auch schaffen können, oder
sollten wir doch länger brauchen? Die obersten paar Meter vom Gipfel hinunter bis es wieder flacher wird, sind spannend wie immer: eine
Eislasur hier und da verlangt konzentriertes Absteigen. Zu stolz sind wir, deswegen jetzt noch die Steigeisen anzuziehen.
Auch die Saugrube finden wir erstaunlich verspurt vor. Unglaublich, wieviele Leute sich diese Strapaz antun, die skifahrerisch gesehen
doch eigentlich nicht lohnend ist. Wir haben aber Glück und freuen uns über etliche schöne Schwünge im kalten Pulver, der sogar am Latschenrücken
unter dem Saurüssel liegen geblieben ist und bis in den lichten Lärchwald hinein reicht.
"Siechst den Schlog rechts?", fragt Hias.
"Sowieso, da wollt' ich auch hin. Da geht es sicher volle gut hinaus zum Vorderkaser",
sage ich. Minuten später rutschen wir am Hosenboden mannsgroße Geröllbrocken in einem Bachbett hinunter und kämpfen uns durch
Latschen den Weg zur Dalsenalm frei. Wir lernen für's nächste mal, dass der freie Schlag auf der orographisch rechten Seite noch immer nicht für den
Rückweg aus der Saugrube geeignet ist. Als das Gelände endlich freier wird und wir wieder Schihänge erreichen, holt uns der Bruchharsch endgültig ein.
Ich quäle mich mit brennenden Oberschenkeln im Schneepflug den Weg hinunter, während Hias die Schi laufen lässt. In Summe sind wir aber
gleich schnell, denn Hias köpfelt zweimal in den Schnee, weil es einen seiner Schi fängt und er sich erst wieder mühsam aufrappeln muss.
Wir sind vielleicht die letzten dieses Jahr, die noch ohne Ski-Ausziehen den Weg zur Bundesstraße hinausschieben können. An manchen Stellen
ist die Schneeauflage am Asphalt schon durchscheinend. Nach endlos langer Zeit werden wir schließlich des Autos ansichtig, das schon bereit steht,
um uns abzuholen und zurück nach Leogang zu bringen - es ist auf die Minute exakt 16 Uhr 30, so wie Hias es vorhergesagt hat.
"Da Hermann hot g'sogt, i soid enk glei hoin", lacht Hias' Mutter verschmitzt,
"damit'st no Longlaffn geh konnst - es geht so guat!"
"Jojo...", brummt Hias vom bequemen Beifahrersitz.
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